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mehrheit der Abstimmenden ; auch Mitglieder, die sich der Stimme
enthalten, sind „anwesend“, gehören also zu der Zahl, nach der
die zwei Drittel zu berechnen sind '*®,
2. Auch Beschlüsse des Reichsrats „auf Abänderung der
Verfassung“ bedürfen einer Mehrheit von zwei Dritteln der abge-
gebenen Stimmen. Der Wortlaut dieses Satzes ist nicht eben klar.
Ein Reichsratsbeschluß lautet „auf Abänderung der Verfassung“
entweder, wenn der Reichsrat eine Gesetzesvorlage beschließt, die
eine Verfassungsänderung enthält, oder wenn er einer Gesetzes-
vorlage solchen Inhalts, die anderer Initiative eutstammt, seine
Zustimmung gibt. In diesen beiden Fällen bedarf der Annahme-
beschluß einer Zweidrittelmajorität. Ein Beschluß des Reichsrats
„auf Abänderung der Verfassung“ liegt aber auch dann vor, wenn
der Reichsrat beschließt, gegen einen entsprechenden Reichstags-
beschluß keinen Einspruch zu arheben. Wenn nun dieser Beschluß
einer Zweidrittelmehrheit „bedarf“, so ist es folgerichtig, anzu-
nehmen, daß der Beschluß, Einspruch gegen eine Verfassungs-
änderung zu erheben, schon dann als gefaßt zu gelten habe, wenn
sich mehr als ein Drittel für die Erhebung des Einspruchs er-
klärt hat!?.
3. Eine außergewöhnliche Erschwerung der Verfassungsände-
120 GIESE S. 225.
121 Anders GIESE S. 225 f. (bei Anm. 10). Zweifelnd PortzschH 8. 92.
Klarer wäre die Fassung geworden, wenn man die Formulierung ange-
nommen hätte, die die Reichsregierung dem Verfassungsausschusse in der
Drucks. Nr. 37 vorschlug: „Zum Einspruch gegen ein vom Reichstag 'be-
schlossenes verfassungsänderndes Gesetz genügt die ?/s übersteigende Zahl
der abgegebenen Stimmen.“ Aber obwohl man eine andere Fassung wählte,
war man sich doch einig, daß die Sache so aufzufassen sei wie nach dem
Vorschlage der Regierung. In der Redaktion des Verfassungsausschusses
lautete der fragliche Satz so: „Auch im Reichsrat sind zur Abänderung
‘der Verfassung zwei Drittel der abgegebenen Stimmen erforderlich.“
Ich glaube, daß man diesen Satz ohne weiteres, wie im Text geschehen,
hätte auslegen können. Da die endgültige Fassung, die diewägfüsel im
Plenum erhielt, keine sachliche Aenderung herbeiführen sollte (Sten. B. S.
1361 f.), so wird das Ergebnis das gleiche sein.
Archiv des öffentlichen Rechts. XXXIX. 4. 36