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des Völkerrechtes einen ganz anderen „Rechtswert“, ja überhaupt
eine andere Wertkategorie zum Ausdruck bringt, als es dasselbe
Wort in dem Falle tut, daß der Primat des Staatsrechtes voraus-
gesetzt wird, — eine Voraussetzung, die das Völkerrecht als in-
haltlich qualifizierten Teil des Staatsrechtes erscheinen läßt. Vice
versa hat man zwei grundverschiedene Bedeutungen des Wortes
„Staatsrecht“ zu unterscheiden. Man scheut sich ja z. B. auch
nicht, verschiedene, sozusagen durch eine Welt geschiedene M o-
ralsysteme anzunehmen — woran höchstens auch wieder der
gemeinsame Ausdruck auszusetzen ist.
Die Ausführungen unseres Autors können, wie ich glaube,
dahin gedeutet werden, daß er nicht den Dualismus der Systeme,
sondern bloß den Dualismus im Systeme überwinden wollte Er
bekämpft grundsätzlich nur eine Rechtswissenschaft mit der Hypo-
these des Primates von Völkerrecht und Staatsrecht — ähnlich
wie er bereits in den „Hauptproblemen der Staatsrechtslehre“ aus
demselben, allerdings noch unausgesprochenen und wohl noch un-
bewußten Systemgedanken heraus die Annahme von gesetztem
und Gewohnheitsrecht als zugleich oberster Rechtsquellen be-
kämpft hat, — sieht aber wohl die Hypothese vom Primat des
Staatsrechtes ebensogut wie die vom Primat des Völkerrechtes
für logisch möglich an. Wenigstens verrät sich die Wahl für
den Primat des Völkerrechtes, die KELSEN am Schlusse des
Werkes trifft, als durchaus — in einem unbetonten Sinn des
Wortes. — willkürlich und wird so zur Bestätigung der
logischen Möglichkeit der anderen Position. Diese Bestäti-
gung erfolgt aber auch ausdrücklich — sogar im Zusammenhange
mit der Bezweiflung der Zweckmäßigkeit der fraglichen Konstruk-
tion. „Soll ihre Leistungsfähigkeit beurteilt werden, so ist vor-
weg anzuerkennen, daß sie ihr Erkenntnisziel zu erreichen wohl
imstande ist: Die Einheit der Rechtsordnung ist hergestellt. Frag-
lich bleibt nur, ob der Weg, auf dem das Ziel erreicht wird,
nicht zum Verzicht auf wichtige, vielleicht die wichtigsten Werte