Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 41 (41)

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desto geringer werde die Zahl der zu gesetzgeberischer Tätigkeit Befähig- 
ten. Das sich entwickelnde Berufs-Parlamentariertum könne zwar etwas 
die Arbeitsfähigkeit der Parlamente, nicht aber deren Ansehen im Volke 
erhöhen. 
Vielleicht geht v. BLUME mit‘ allen diesen Ansichten etwas 
zu weit, manches Wahre liegt jedenfalls darin. Wir lassen als 
Kronzeugen auch hier den erfahrenen Parlamentarier VIKTOR 
ZENKER reden, der a. a. O. S. 72 (s. oben S. 312) fortfährt: 
„Es ist: kein wunderbarer Zufall und keine unerklärliche Erscheinung, 
daß sich — worüber die Berufspolitiker so bewegend klagen — die öffent- 
liche Meinung sichtlich von den Vorgängen in den Parlamenten abkehrt 
und daß in der großen Masse des Volkes die vollständige Gleichgültig- 
keit gegen die angeblich weltbewegenden Schicksale des Parlamentes 
um sich greift. In den an sozialer Entwicklung lebhaft beteiligten und 
unmittelbaren interessierten Kreisen macht sich aber eine scharfe Ver- 
stimmung gegen das ganze System, eine ausgesprochen antiparlamenta- 
rische Gesinnung fühlbar, die täglich neue Kreise erfaßt und keineswegs 
mehr aufeinzelne Länder beschränkt ist. Wir begegnen dieser antiparla- 
mentarischen Stimmung ebenso in Oesterreich und Deutschland wie in 
Frankreich, wo sie bereits ein ernster Faktor im öffentlichen Leben geworden 
ist. Gerade die im sozialen Kampfe stehenden Klassen, die dereinst ihr 
Blut für parlamentarische Einrichtungen vergossen haben, gerade die 
ehrlichen Freunde der Freiheit und des Fortschritts fühlen sich durch 
die Rückständigkeit und Unfruchtbarkeit der Parlamente, durch die Kor- 
ruption und Volksverräterei des neuen Standes der Berufspolitiker, in 
tiefster Seele enttäuscht und angewidert.* 
Und das sind Worte eines überzeugten Demokraten! Ebenso 
scharf drückt sich OTTO KOELLREUTTER in einem Aufsatze 
„Parlamentarismus und berufsständische Idee“ im „Tag“ vom 
20. Januar 1921 aus. Auch er stellt als unzweifelhafte Tatsache fest, 
daß nicht‘ nur weite Volkskreise sich überraschend schnell von 
der „formalen Demokratie in ihrer jetzigen Ausprägung“ d. i. 
dem parlamentarischen System abgewandt haben, sondern daß 
auch bis weit in die Reihen der Demokratie selbst hinein das 
Unzulängliche dieser Regierungsform anerkannt werde. Den Grund 
erblickt er darin, daß man kritiklos jenes System adoptiert habe, 
in der Meinung, damit den alten „klassischen“ Parlamentarismus. 
Englands zu übernehmen. Dessen Grundlage bilde aber das Zwei-
	        
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