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erfüllung gegeneinander, streitig werden. So können sich Staats-
präsident, Regierung, Staatsrat und Landesversammlung als streitende
Teile gegenübertreten. Aber auch soweit die Verfassung die gegen-
seitigen Befugnisse und Verpflichtungen der diese Organe bildenden
einzelnen Persönlichkeiten zueinander regelt, wird Streit hierüber als
Verfassungsstreit und die einzelne Persönlichkeit (Minister, Staatsrats-
mitglied, Abgeordneter) als streitender Teil anzusehen sein. Ferner
muß, was für den einzelnen Abgeordneten gilt, auch zugunsten der in
der Verfassung mit Befugnissen ausgestatteten parlamentarischen Min-
derheiten (gewöhnliche, */s- oder !/s-Minderheit) oder der nach der
Verfassung einzusetzenden Ausschüsse (Untersuchungs-, Ueberwachungs-
ausschüsse) angenommen werden. Eine !/s-Minderheit verlangt z. B.
die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses; die Mehrheit lehnt
dies ab, weil ein Fall, in dem ein Untersuchungsausschuß nach der
Verfassung eingesetzt werden könne, nicht vorliege. In allen diesen
Fällen ist aus der Verfassungsstreitigkeit selbst und ohne weiteres ein
TParteiverhältnis und damit beiderseits der streitende Teil gegeben.
Fraglich kann sein, ob darüber hinaus der Entscheidung des Staats-
gerichtshofs im besprochenen Falle die Auffassung zugrunde liegt, daß
die parlamentarischen Minderheiten, Fraktionen und einzelne Abge-
ordnete als streitende Teile auch dann auftreten können, wenn durch
das nicht verfassungsmäßige Verhalten der Mehrheit nicht besondere
Pflichten gegenüber der Minderheit usw., sondern eine allgemeine
Pflicht gegenüber dem Volke verletzt wird. Man könnte zwar im vor-
liegenden Falle ein verfassungsmäßiges Recht des einzelnen Abgeord-
neten auf Entlassung aus seinem Abgeordnetenverhältnis bei Ende der
Wahlperiode zugrunde legen. In Wirklichkeit haben aber die Abge-
ordneten und die hinter ihnen stehende Fraktion wohl nicht wegen
Verletzung dieses Rechts den Antrag gestellt, sondern im Interesse
der Partei und Wählerschaft, die ihr Recht auf Neuwahlen durch die
Abgeordneten geltend gemacht sehen wollten. Die Auffassung
liegt jedenfalls nahe, daß für gewisse verfassungs-
mäßige Organe ein allgemeines Recht besteht, für
den Schutz der Verfassung durchAnrufen des Staats-
gerichtshofs einzutreten, ganz unabhängig davon, ob
durch das nicht verfassungsmäßige Verhalten der
besondere Befugniskreis dieses Organs selbst be-
rührt wird oder nicht
3 Vgl. das Urteil des vorl. Staatsgerichtshofs v. 12. 7. 21. Der Senat
Bremens beanstandete einen Beschluß der Bürgerschaft, durch den Unter-