Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 42 (42)

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erfüllung gegeneinander, streitig werden. So können sich Staats- 
präsident, Regierung, Staatsrat und Landesversammlung als streitende 
Teile gegenübertreten. Aber auch soweit die Verfassung die gegen- 
seitigen Befugnisse und Verpflichtungen der diese Organe bildenden 
einzelnen Persönlichkeiten zueinander regelt, wird Streit hierüber als 
Verfassungsstreit und die einzelne Persönlichkeit (Minister, Staatsrats- 
mitglied, Abgeordneter) als streitender Teil anzusehen sein. Ferner 
muß, was für den einzelnen Abgeordneten gilt, auch zugunsten der in 
der Verfassung mit Befugnissen ausgestatteten parlamentarischen Min- 
derheiten (gewöhnliche, */s- oder !/s-Minderheit) oder der nach der 
Verfassung einzusetzenden Ausschüsse (Untersuchungs-, Ueberwachungs- 
ausschüsse) angenommen werden. Eine !/s-Minderheit verlangt z. B. 
die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses; die Mehrheit lehnt 
dies ab, weil ein Fall, in dem ein Untersuchungsausschuß nach der 
Verfassung eingesetzt werden könne, nicht vorliege. In allen diesen 
Fällen ist aus der Verfassungsstreitigkeit selbst und ohne weiteres ein 
TParteiverhältnis und damit beiderseits der streitende Teil gegeben. 
Fraglich kann sein, ob darüber hinaus der Entscheidung des Staats- 
gerichtshofs im besprochenen Falle die Auffassung zugrunde liegt, daß 
die parlamentarischen Minderheiten, Fraktionen und einzelne Abge- 
ordnete als streitende Teile auch dann auftreten können, wenn durch 
das nicht verfassungsmäßige Verhalten der Mehrheit nicht besondere 
Pflichten gegenüber der Minderheit usw., sondern eine allgemeine 
Pflicht gegenüber dem Volke verletzt wird. Man könnte zwar im vor- 
liegenden Falle ein verfassungsmäßiges Recht des einzelnen Abgeord- 
neten auf Entlassung aus seinem Abgeordnetenverhältnis bei Ende der 
Wahlperiode zugrunde legen. In Wirklichkeit haben aber die Abge- 
ordneten und die hinter ihnen stehende Fraktion wohl nicht wegen 
Verletzung dieses Rechts den Antrag gestellt, sondern im Interesse 
der Partei und Wählerschaft, die ihr Recht auf Neuwahlen durch die 
Abgeordneten geltend gemacht sehen wollten. Die Auffassung 
liegt jedenfalls nahe, daß für gewisse verfassungs- 
mäßige Organe ein allgemeines Recht besteht, für 
den Schutz der Verfassung durchAnrufen des Staats- 
gerichtshofs einzutreten, ganz unabhängig davon, ob 
durch das nicht verfassungsmäßige Verhalten der 
besondere Befugniskreis dieses Organs selbst be- 
rührt wird oder nicht 
3 Vgl. das Urteil des vorl. Staatsgerichtshofs v. 12. 7. 21. Der Senat 
Bremens beanstandete einen Beschluß der Bürgerschaft, durch den Unter- 
 
	        
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