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Da die richtige Anwendung der Bestimmungen über Staatsgebiet
und Staatshoheitszeichen stets auch in der Pflicht eines Staatsorgans
enthalten ist, so wird der Streit über sie in einem Pflichtenstreit aus-
münden und damit das Streitverhältnis ebenfalls gegeben sein. Das
gleiche gilt auch von der Staatsbürgerschaft. Hier fragt sich aber
weiter, ob der wahlberechtigte Staatsbürger nicht auch selbständig vor-
gehen kann. Werden verfassungsmäßige Wahl- und Abstimmungs-
rechte unterdrückt — etwa durch eine Gesetzesbestimmung, daß Fremd-
stämmige nicht wahlberechtigt seien oder, wieim vorliegenden Falle, durch
die verfassungswidrige Ausdehnung der Wahlperiode —, so wird wohl
das Recht der Wahlberechtigten gegeben sein, auf Entscheidung des
Staatsgerichtshofs anzutragen und als streitender Teil gegebenenfalls
neben das Staatsorgan zu treten, das seiner allgemeinen Kontrollpflicht
genügt. Dagegen ist dem einzelnen Staatsbürger selbst jenes allge-
meine Kontrollrecht wohl nicht zuzugestehen. Man könnte daran den-
ken, es aus der Teilhaberschaft an der Souveränität abzuleiten. Aber
auch dem Volke als ganzem steht ein Antragsrecht nach Art. 19
schwerlich zu. Abgesehen von den nach Art des Art. 43 Abs. 2 und
‚auf Grund Art. 18 d. RV. besonders geregelten Fällen wird mit der
Stimme des Volkes nur gesetzgeberischer Wille zum Ausdruck gebracht.
Im übrigen bedient sich das Volk der besonders eingesetzten Organe
(mittelbare Demokratie).
Offen ist schließlich die Frage, in welchem Umfange die Grund-
rechte Gegenstand eines Streites nach Art. 19 sein können. Soweit
Grundrechte Normen für die Landesgesetzgebung aufstellen, ist trotz
der verfassungsmäßigen Bindung in der bisherigen Staatspraxis eine
weitgehende Freiheit für die Gesetzgebung in Anspruch genommen
worden, Politische Zweckmäßigkeitserwägungen und finanzielles Ver-
mögen oder Unvermögen sind mit maßgebend, ob eine Verfassungs-
bestimmung durchgeführt wird oder nicht. Welche Grenzen sind hier
der richterlichen Nachprüfung des nur für Rechtsstreitigkeiten einge-
setzten Staatsgerichtshofs gezogen? Können z. B. Eltern oder Schulen
durch den Staatsgerichtshof die Verpflichtung der Regierung feststellen
lassen, einen Gesetzentwurf, der die Lehr- und Lernmittelfreiheit in
den Volksschulen bringt, vorzulegen? In welchem Umfange kann eine
Rechtspflicht der Volksvertretung, ein Gesetz zu erlassen, durch den
Staatsgerichtshof ausgesprochen werden? Bejaht man die Möglichkeit
suchungsausschüsse eingeführt wurden. [Ueber das Urteil wird demnächst
an dieser Stelle berichtet werden. Red.]