— 109 —
Alle jene während der Verfassungsberatung getanen Aeuße-
rungen und stattgehabten Vorgänge beweisen: Der Staatsrat ist
vom Verfassungsgesetzgeber nicht gedacht als eine Erste Kammer
im Sinne eines Herrenhauses. Der Landtag in Preußen soll nur
aus einer Kammer bestehen. Die Volksvertretune im
hergebrachten Sinne kommt ausschließlich im Landtag zur Er-
scheinung °. Ebenso unzweideutig aber tritt hervor, daß der
Staatsrat als diejenige Einrichtung in die Verfassung aufgenommen
wurde, die bestimmt ist, dem Parlamentsabsolutismus entgegen-
zuwirken, daß in ihm ein Staatsorgan geschaffen wurde, dem ge-
nau bestimmte Rechte zu dem Hauptzwecke erteilt worden sind,
einer einseitigen Landtagspolitik hemmend ent-
gegenzuwirken. Der Staatsrat wird beteiligt an der Ge-
setzgebung, indem ihm ein aufschiebendes Veto in Gestalt
des Einspruchs gegen die vom Landtag beschlossenen Gesetze ein-
1921 (GS. S. 317); Gesetz, betr. vorläufige Wahlen zum Staatsrat in der
Provinz Oberschlesien und Abänderung des Art. 88 der Verfassung des
Freistaates Preußen vom 30. November 1920 vom 7. April 1921 (GS. S. 353).
Vgl. auch unten die Bemerkung zu RVerf. Art. 63.
10 Weitgehende Aehnlichkeiten mit einem Parlament sind aber nicht
zu verkennen. Sie ergeben sich aus folgenden Bestimmungen der Ver-
fassung: Die Mitglieder des Staatsrats stimmen nach ihrer freien, nur
durch die Rücksicht auf das Volkswohl bestimmten Ueberzeugung; an
Aufträge und Weisungen sind sie nicht gebunden (Art. 34). Ebenso wie
für Landtagsmitglieder (Art. 31) gilt, daß kein Mitglied des Staaterats zu
irgendeiner Zeit wegen seiner Abstimmung oder wegen der in Ausübung
seines Amtes getanen Aeußerungen gerichtlich oder dienstlich verfolgt
oder sonst außerhalb der Versammlung zur Verantwortung gezogen werden
darf (Art. 35), daß Beamte, Angestellte und Arbeiter des Staates und der
Körperschaften des öffentlichen Rechts zur Ausübung des Amts als Mit-
glieder des Staatsrats keines Urlaubs bedürfen, ihnen Gehalt oder Lohn
weiter zu zahlen ist (Art. 36). Die Vorschriften über Wahl des Vorsitzen-
den und der Schriftführer, Geschäftsordnung, Beschlußfähigkeit, Ab-
stimmung, Oeffentlichkeit und deren Ausschluß bei Sitzungen, Verlangen
der Anwesenheit der Minister folgen dem für den Landtag geltenden Vor-
bilde (Art. 37”—89). Die Parlamentsähnlichkeit des Staaterats kommt auch
in dem Verbot der gleichzeitigen Mitgliedschaft beim Landtag und Staats-
rat deutlich zum Ausdruck (Art. 38 Abs. 2).