Eine andere Frage, die den Streit über diesen Punkt berührt,
aber eben nur berührt, ist die Frage des richterlichen Prüfungs-
rechts. Aufgabe meiner Darlegungen war die Prüfung des Rechtes
des Staatsrats und nicht die Frage, auf welchem Wege die Ver-
fassungswidrigkeit eines Gesetzes festzustellen ist oder was das-
selbe ist, wer oder welches Staatsorgan zu dieser Feststellung
berufen ist. Wenn demnach auch das Problem des richterlichen
Prüfungsrechts nieht zu den Problemen dieses Gutachtens gehört
so sind doch hier einige Hinweise angebracht.
Zwar gibt es Gegner der Auffassung, daß dem Richter die
Prüfung der Gesetze nach dem jetzigen Rechte zusteht, aber der
Wortführer dieser Meinung, FRIEDRICH SCHACK
— Prüfung der Rechtmäßigkeit von Gesetz und Verordnung, 1918, ferner
in den Annalen des Deutschen Reiches 1919 S. 285 ff. und Archiv für
öffentliches Recht Bd. 41 (1921) S. 163 —
hat als vermeintlich stärkste Stütze seiner Annahme den Satz
aufgestellt, daß es, wie in der Reichsverfassung des Kaiser-
reiches, so auch in der neuen Verfassung keinen Artikel gäbe,
der eine Bestimmung für oder wider die Prüfung enthalte und
dasselbe auch von der neuen preußischen Verfassung gelte. Daß
letzteres dem Buchstaben nach richtig ist, ergibt sich aus den
obigen Ausführungen, die insbesondere für das preußische Staats-
recht zeigen, wann ein Gesetz rechtsverbindlich ist oder nicht, da-
gegen klarlegen, daß die Person oder das Organ in der Ver-
fassung nicht bezeichnet ist, das die staatsrechtlichen Folgerungen
zu ziehen hätte.
Im übrigen sind die Meinungen in der Staatsrechtswissen-
schaft geteilt. ARNDT, Reichsverf. 2. Aufl. (1921) S. 180, GEORG
MEYER-ANSCHÜTZ, Lehrbuch des Deutschen Staatsrechts 7. Aufl.
1919 S. 593, 736 ff., Anschürz, Die Verfassung des Deutschen
Reiches 1921 S. 129, GIESE, Reichsverfassung, 2. Aufl. 1920
S. 222 und WALTER JELLINEK, Handbuch der Politik 3. Aufl.
Bd. 3 (1921) S. 16 und DJurZtg. 1921 S. 753 f. verneinen die
Frage, ob die Gerichte die Verfassungsmäßigkeit vorschriftsmäßig