Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 42 (42)

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andern bedeute und daß statt dessen die Versöhnung der Klassen zur 
Grundlage den Staatslebens gemacht werden müsse“ (S. 43). Eng an ihn 
lehnt sich Karu LevITA in seinem Buch „Die Volksvertretung in ihrer 
organischen Zusammensetzung im repräsentativen Staat der Gegenwart“ 
(1850) an, der „gerade von der Geltendmachung der Einzelinteressen in 
ihrer ganzen Konkretheit und Mannigfaltigkeit am ehesten die Möglich- 
keit einer Einigung und den Sieg des Gemeinsamen und Uebergeordneten 
erwartet“ (S. 47). Für unentbehrlich hält er aber daneben das Bestehen 
einer starken, politisch führenden Regierung, die den divergierenden 
Interessen gegenüber allein imstande ist, die Einheit des Staatswillens 
aufrechtzuerhalten. Doch stießen die berufständischen Ideen dieser Zeit 
auf den einhelligen Widerstand der Parteiführer und wurden von der 
großen Mehrheit des Volkes als reaktionär abgelehnt. Erst als die Schwä- 
chen des Parteilebens immer stärker hervortraten, findet man auch wieder 
eine Vertretung der berufständischen Idee in der praktischen Politik. Sie 
ging von Bismarck aus, der, wie der Verf. richtig hervorhebt, für die Ent- 
wicklung des berufständischen Problems besonders wichtig ist (S. 58 ff.). 
Bismarck, der von der Idee der berufständischen Vertretung im -alten 
Sinne ausgegangen war, glaubte in den 60iger Jahren durch ein auf breite- 
ster Grundlage aufgebautes Wahlrecht sich eine seiner Politik geneigte 
Mehrheit schaffen zu können. Die Kämpfe im Reichstag, besonders die 
schon damals sehr bald zutage tretenden Bestrebungen der Parteien, die 
Regierung in Abhängigkeit von sich zu bringen, belehrten ihn dann eines 
Besseren. Er empfindet die Herrschaft der „unproduktiven Bevölkerung“, 
der politischen Professoren, denen er zeitlebens nicht wohlwollte, schwer. 
Das Bodenständige seines Wesens empfand Mißtrauen gegen die Leute 
„ohne Ar und Halm“ (vgl. seine Schilderung Caprivis im 3. Bande seiner 
Gedanken und Erinnerungen S. 117). Die politischen Parteien sind ihm 
„der Verderb unserer Verfassung und der Verderb unserer Zukunft® (S. 64)- 
Daher ging sein Streben dahin, einmal das allgemeine gleiche Wahlrecht 
durch eine neue Form berufständischer Vertretung zu ersetzen, und zwei- 
tens neben das Parlament einen aus Berufsvertretern zusammengesetzten 
Volkswirtschaftsrat zu stellen (S. 65). Zur Durchführung gelangte nur der 
zweite Plan und auch der nur in Preußen durch die Einrichtung eines 
aus 75 Mitgliedern bestehenden Volkswirtschaftsrats. Eine Uebertragung 
dieser Einrichtung auf das Reich scheiterte an dem Widerstand des Reichs- 
tags, der eine Beeinträchtigung seiner eigenen Stellung dadurch fürchtete. 
„Die Parteien hatten gar kein Interesse an der Unterstützung der Regie- 
rung durch Sachverständige, von deren Konkurrenz sie eine Gefährdung 
der parlamentarischen Autorität befürchteten® (S. 80). „Der Gegensatz 
zwischen Parteiinteresse und Volksinteresse ist durch Bismarck zu einem 
Problem geworden, dem wir nicht mehr aus dem Wege gehen können“ 
S. 82). Ueber Bismarck hinaus bis zur Revolution von 1913 hat dann das
	        
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