Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 42 (42)

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rungen gefallen sind, weichen voneinander ab, das ist das eine. 
Zum andern hält man die verfassungsrechtliche und die politische 
Betrachtung der staatlichen Dinge nicht genügend auseinander "?. 
Die politische Betrachtung ist gewiß nicht minder wichtig als 
die juristische, wer möchte die Dynamik neben der Statik, die 
Physiologie neben der Anatomie missen. Aber beide Betrach- 
tungsweisen dürfen nicht durcheinandergemengt werden. Und die 
politische Beurteilung darf nicht so in den Vordergrund gerückt 
werden, daß das Verständnis für den rechtlichen Aufbay, für die 
juristische Struktur des staatlichen Organismus darunter leidet. 
Die Zuverlässigkeit der politischen Werturteile wird dadurch er- 
heblich gefährdet. Würde dies in gebührender Weise beachtet, 
so wären so unrichtige, zum mindesten irreführende Aeußerungen 
wie: die Regierung sei ein bloßes Vollzugsorgan des Landtags, 
sie sei ihm unterstellt, unmöglich. Solche Aeußerungen sind um 
so bedenklicher, wenn sie von dem Ministerpräsidenten ausgehen, 
der die Verpflichtung hat, die verfassungsmäßigen Zuständigkeiten 
der Regierung dem Landtage gegenüber zu.wahren. Daß es sich 
nicht bloß um eine gelegentliche Entgleisung handelt, beweist 
der spätere Ausspruch des Ministerpräsidenten, daß der Jandtag 
der Vorgesetzte der Regierung sei. Zur Entlastung gereicht ihm 
freilich, daß auch andere, unter ihnen sogar Staatsrechtslehrer, 
sich in ähnlichem Sinne geäußert haben. Trotz alledem ist und 
bleibt die Annahme einer verfassungsrechtlichen Unterordnung 
der Regierung unter den Landtag ein schwerer Irrtum, gegen den 
mit aller Entschiedenheit Einsprache erhoben werden muß, damit 
er nicht festwurzelt und zu einer Staatspraxis führt, die in 
schroffem Widerspruche mit der Rechtsordnung steht und auch 
politisch zu schweren Bedenken Anlaß gibt. 
Ein dritter Uebelstand, der die Verständigung erschwert, ist, 
um mit HAENEL!* zu reden, „die Praxis und Wissenschaft be- 
12 LUKAS, Die organischen Grundgedanken der neuen Reichsverfassung 
S. 24, 8. 34 ff. 
ı# Deutsches Staatsrecht Bd. I S. 119.
	        
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