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‘zur Volksabstimmung der Rücktritt des Gesamtministeriums oder
einzelner Minister nicht verlangt noch beschlossen werden, ihnen
das Vertrauen zu entziehen. Der Landtag kann also die Auf-
lösungsinitiative der Regierung nicht vereiteln.
Es ist auch möglich, daß ein Ministerpräsident, der hervor-
ragende Bedeutung, lebhafte Sympathie in weiten Kreisen der Be-
völkerung und einen selbständigen Charakter besitzt, bei einer
wichtigen Frage den Sieg davonträgt, ohne daß es zu einem of-
fenen politischen Kampfe kommt, weil der Sieg des Landtags,
wie dieser einsieht, durch die Entlassung oder den Rücktritt des
Ministerpräsidenten zu teuer .erkauft wäre *”.
VI. Man wird das Ergebnis, zu dem wir gelangt sind: Ab-
hängigkeit der Regierung vom Landtage in ihrem Bestande, nicht
7 RepsLoB, Die parlamentarische Regierung S. 138 schildert die Ver-
hältnisse in Frankreich, das eine Auflösung des Parlamentes nicht kennt,
wie folgt: Die Minister befänden sich unter der Leitung des Parlaments.
Ihre Beherrschung sei absolut. Die Deputierten seien in der Lage, der
Regierung willkürliche Beschränkungen aufzuerlegen. Das Gleichgewicht,
das dis allgemeine Politik den Kammern zuweise und den Ministern er-
laube, frei ın diesem Rahmen zu regieren, sei nicht gesichert. Nichts
hindere die Legislative, auf das Gebiet der Exekutive überzutreten und
den Gegner zu fesseln, bis er jeder Initiative beraubt sei. Es gebe nur
noch ein einziges Organ im Staate. Es habe das andere seinem Willen
unterworfen, es habe ein Werkzeug aus ihm gemacht. Es herrsche parla-
mentarische Diktatur. Das ist die politische Lage. Allein REDSLOB
fügt hinzu: „Die Minister erhalten keine wirklichen Befehle und aus
diesem Grunde sind sie nicht vergleichbar mit Verwaltungsbeamten. Ihre
Botmäßigkeit ist indirekt, sie wird auf einem Umweg verwirklicht. Die
Minister wissen, daß, wenn das Parlament ihre Haltung mißbilligt, es ihre
Gewalt zerbrechen wird. Und sie wissen, daß ihnen gegen eine solche
Verurteilung kein Rekurs vor einem Schiedsrichter offen steht. So sehen
sie sich in der Notwendigkeit, zu gehorchen oder zu weichen.“ Das ist
die verfassungsrechtliche Beurteilung des Sachverhaltes: die
Minister müssen dem Parlament nicht gehorchen, sie können weichen.
Die Dinge können sich auf dieser verfassungsrechtlichen Grundlage politisch
anders entwickeln, als es tatsächlich der Fall ist. REDSLOB bemerkt:
„So wächst diese Expayision ins ungemessene, statt wie in England durch
Tradition und Kunst aufgehalten zu werden.“