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zur Anrufung des Volksentscheids mittels Auflösung des Parla-
ments und Anordnung von Neuwahlen zwingt.*
Diese Gestaltung der parlamentarischen Regierung ist, wie
LuKAs zutreffend darlegt, im Deutschen Reiche verwirklicht.
Die eigentümliche Beziehung der Regierung zum Reichstage sei
staatsrechtlieh dadurch hergestellt, daß das Kabinett zu
seinem Bestande des Vertrauens des Reichstags bedürfe, Art. 54.
Und auf politischem Gebiete entspreche diesem Verfassungs-
erundsatze die Tendenz, die Mitglieder aus den Reihen der Par-
lamentsmehrheit zu nehmen.
Das einzige verfassungsrechtliche Mittel, das dem Reichstage
gegeben ist, um seine Stellung und seinen Einfluß der Regierung
gegenüber zu behaupten, ist die Entlassung des Reichskanzlers
und der Reichsminister °%. Die Einwirkung des Reichstags bei
ihrer Ernennung ist nur politischer Natur °°. Und erst recht die
Beeinflussung der Regierung durch den Reichstag bei Ausübung
° (4, JELLINEK, Schriften und Reden Bd. II S. 283: In dem Recht, die
Minister zur Demission zu veranlassen, liegt der rechtliche Kernpunkt des
parlamentarisch regierten Staates. „Es ist ein Staat, in welchem das
Parlament die rechtliche Macht besitzt, die Minister zum Rücktritt zu
zwingen,“ ”
6" REHM a. a. O. S. 68f.: „Die Parteien ernennen die Minister für die
Regel nicht unmittelbar, sondern empfehlen nur den Kandidaten. Die
Regierung des Parlamentes ist also nur eine indirekte, auch in dem Sinne,
daß das Staatshaupt rechtlich nicht an den Vorschlag gebunden ist. Der
Staatschef kann sich weigern und statt dessen auflösen oder abdanken,
oder mit dem einen oder anderen drohen. Der Staatschef hat auch beim
parlamentarischen Regierungssystem die rechtliche Möglichkeit, Minister
zu entlassen, die das Vertrauen der Kammern genießen, und Minister zu
wählen, die nicht vom Ministerpräsidenten vorgeschlagen und die nicht im
Vertrauen des Parlamentes sind. Solche Ernennungen sind gültig; es
könnte ja sonst zu Zeiten, wo es kein Parlament gibt (Ablauf der Wahl-
periode) gar kein Ministerium gebildet werden. Aber das Staatsoberhaupt
ist dann politisch genötigt, die Kammer aufzulösen und, wenn das Volk
dieselbe Mehrheit zurückschickt, Männer zur Ministerbildung zu berufen,
von denen anzunehmen ist, daß sie in der Lage sind, die Parteimehrheit
hinter sich zu haben.“