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besitzende Organ bezeichnet wird, wie z. B. in Belgien. Denn
das Volk als Gesamtheit der Staatsbürger hat eben nicht die
Fähigkeit, einen gültigen Willen zu äußern. Der Begriff der
Volkssouveränität ist daher ohne rechtlich wirksame Bedeutung.
Der höchste Wille kommt hier juristisch immer nur dem König
bzw. dem Staatspräsidenten oder der Volksvertretung zu. Im
Freistaat Sachsen ist nach dem vorläufigen Grundgesetz zunächst
das letzte Verhältnis gegeben.“
Dagegen möchte ich folgendes einwenden. Man muß unter-
scheiden zwischen Träger der Staatsgewalt und Staatshaupt.
Staatshaupt, d. h. Inhaber der Regierung, ist auch in Frankreich
der Präsident. Träger der Staatsgewalt ist in Demokratien, auch
in repräsentativen, immer das Volk, nicht das Parlament; der
Begriff der Volkssouveränität im Sinne der höchsten Gewalt im
Staate hat rechtlich wirksame Bedeutung. Weshalb soll das
Volk, d. h. die Gesamtheit der Stimmberechtigten ”®, nicht die
Fähigkeit haben, einen gültigen Willen zu äußern? Es wählt
doch, es stimmt doch ab beim Volksentscheid, beim Volksbegehren ®°,
7% MEYER-ANSCHÜTZ (7) S. 20 Anm. 6. — van Husen a. a. 0.8. 70£.:
„Zweifellos richtig, daß nie alle Mitglieder des Volkes an der staatlichen
Willensbildung beteiligt sein können, und somit das Volk in diesem Sinn
kein Staatsorgan ist. G. JELLINEK hat auch seine Repräsentationslehre
ausdrücklich darauf aufgebaut, daß Staatsorgan „nur derjenige Teil des
Volkes sei, dem verfassungsmäßig die Ausübung staatlicher Funktionen in
geringerem oder größerem Umfange zukommt“, also die Aktivbürger. — —
Wenn JELLINEK und die herrschende Lehre trotz dieser Erkenntnis immer
das Volk als Staatsorgan bezeichnen und sich nicht jedesmal besonders
auf die Aktivbürger beziehen, so folgen sie damit der feststehenden
Terminologie, welche nun einmal auf diesen Sprachgebrauch in Worten
wie Volksherrschaft und Volksvertretung festgelegt ist. Es besteht auch
eine Berechtigung, an diesem Gebrauch festzuhalten, denn da doch nie alle
Mitglieder des Volks Aktivbürger werden können, so trägt die Bezeichnung
Volk statt Aktivbürger diese natürliche Beschränkung in sich. Aber die
Gleichstellung von Volk und Aktivbürgern ist nur dann zulässig, wenn
die Aktivbürger nicht auf einzelne bestimmte Klassen des Volkes be-
schränkt sind.*
8° Dieser Wille ist kein Wille im psychologischen Sinne. Unter Volks-
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