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geltendes Recht. Wenn also das Land Braunschweig unter der Herr-
schaft der RV. daran gegangen wäre, das Synodalwahlrecht der evan-
gelisch-lutherischen Landeskirche von sich aus zu regeln, so würde
dieses Landesgesetz dem Verbot des Art. 137 Abs. 3 Satz 1 RV.
widersprochen haben. Es würde von dem entgegenstehenden Reichs-
recht „gebrochen“, d. h. beseitigt sein.
4. Aber die Kraft des Art, 137 Abs. 3 Satz 1 RV. reicht noch weiter.
Ihm widerspricht auch ein Landesgesetz, welches vor dem Inkraft-
treten der RV. geschaffen ist, wenn dieses Landesgesetz einen staat-
lichen Eingriff in die Verwaltung einer Religionsgesellschaft enthält
und wenn es erst unter der Herrschaft der RV. ausgeführt werden
soll. Es ist dann durch die vor der RV. liegende Landesgesetz-
gebung ein Zustand geschaffen worden, der unter der Herrschaft
der RV. nicht hätte geschaffen werden dürfen, und der deshalb
unter ihrer Herrschaft auch nicht fortdauern darf. So lagen die
Verhältnisse in Braunschweig. Als die RV. in Kraft trat, hatte
der Staat Vorschriften über das Synodalwahlrecht der evangelisch-
lutherischen Landeskirche erlassen, die er unter der Herrschaft
der RV. nicht mehr erlassen konnte. Nach diesem Wahlrecht darf
deshalb unter der Herrschaft der RV. auch nicht mehr gewählt
werden. Eine Vorschrift, welche diese Wahl trotzdem anordnet,
steht mit der RV. in einem unvereinbaren Gegensatz und muß ihr
weichen.
gez. Predari Specht Hoerner Ungewitter
Schirmacher Mentzel Schliewen.
Il.
Die Reichsgerichtsentscheidung betrifft eine Frage, welche von
Bedeutung ist weit über die Grenzen von Braunschweig hinaus und
vor allem in Preußen noch der endgültigen Lösung harrt. Es ist die
Frage nach dem Begriff der öffentlich-rechtlichen Körperschaft im
Sinne von Artikel 137 der Reichsverfassung.
Das Reichsgericht stützt seine Entscheidung auf den Satz Art. 137
Abs. 3:
„Jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegen-
heiten selbständig.“
Man darf aber nicht vergessen, daß dieser selbe Satz sich für die
evangelische und katholische Kirche auch schon in Artikel 15 der
alten Preußischen Verfassung befand. Trotzdem hielt man es für