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rechtes zur verfassunggebenden Kirchenversammlung. Hier standen
sich in Preußen zwei Richtungen gegenüber, von denen die eine den
bisherigen stufenförmigen Aufbau beibehalten, die andere zu Urwahlen
greifen wollte. Als es sich nun herausstellte, daß bei den verfassungs-
mäßigen Organen der Kirche keine Neigung zu Urwahlen bestand, da
erklärten die drei Minister, daß sie anderenfalls einer Einberufung
der Generalsynode nicht zustimmen würden. Es wurde auch weiter
kein Zweifel daran gelassen, daß die Staatsregierung in solchem Falle
die diesbezüglichen Gesetze dem Landtage nicht zur Bestätigung vor-
legen werde. Schließlich kam dann ein Vergleich zustande, der dahin
ging, daß die verfassunggebende Kirchenversammlung von den neu
gewählten Gemeindevertretungen zu wählen sei. Tatsächlich war das
alles genau derselbe Vorgang, der sich auch in Braunschweig abge-
spielt hat, nur in anderer Form. Auch in Preußen hat die Staats-
gewalt die Frage des Wahlrechtes zur verfassunggebenden Kirchen-
versammlung maßgebend beeinflußt; nur ist es hier nicht zum Konflikte
gekommen, weil schließlich ein Vergleich zustande kam. Materiell
lag die Sache in Braunschweig und in Preußen wesentlich gleich;
formell besteht der allerdings große Unterschied, daß in Braunschweig
die betreffenden Bestimmungen in einem Staatsgesetze niedergelegt
wurden, in Preußen dagegen in einem Kirchengesetze.
Nun liegt der eigentliche Grund der ganzen Frage aber noch viel
tiefer, und es ist nicht anzunehmen, daß mit diesem Reichsgerichts-
urteil endgültige Klarheit geschaffen ist. In Preußen wurden nämlich
jene Wahlgesetze dem Landtage vorgelegt und ein Staatsgesetz vom
8. Juli 1920 besagt, daß sie „soweit erforderlich, staatsgesetzlich be-
stätigt werden“ (GS. S. 401). Dasselbe geschah später in bezug auf
die kirchlichen Wahlgesetze in den neuen Provinzen, aber mit dem
bemerkenswerten Vorgange, daß das bestätigende Staatsgesetz in der
verfassunggebenden Landesversammlung durchfiel und erst in dem
neu gewählten Landtage mit knapper Mehrheit durchging. Was ge-
worden wäre, wenn es auch hier wieder durchgefallen wäre, ist eine
Frage, die noch manchen Juristen und manchen Politiker nach ihrer
grundsätzlichen Seite hin beschäftigen. wird!
Warum nun eigentlich diese kirchlichen Wahlgesetze einer staats-
gesetzlichen Bestätigung bedurften, ist niemals klargestellt worden.
Ich selbst habe mich bei der Beratung der entsprechenden kirchlichen
Wahlgesetze in den neuen Provinzen im Landtage auf den Standpunkt
gestellt, daß eine staatsgesetzliche Bestätigung nicht notwendig sei,