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lungsnormen. Im ersteren Falle treten uns die Gesetzesgedanken als
bejahende oder verneinende Urteile, als Billigungen oder Mißbilligungen
von Sachverhalten seitens des Gesetzgebers entgegen. Doch handelt es
sich dabei nicht um bloße Beurteilungen (Selbstgespräche), sondern um Be-
urteilungsanweisungen, d. h. Normen für das menschliche Denken. Im
zweiten Falle wendet sich der Gesetzgeber’ an den handlungsbereiten Men-
schen. Handlungsnornmen sind die die Willenshandlungen vorbestimmenden,
antreibenden Gedanken, welche unbedingte Befolgung heischen. Hier ver-
bindet sich mit der Urteilsnorm ein Imperativ zu äußerem Tun oder Lassen,
ein Ge- oder Verbot. Voraussetzung dessen ist ein geeigneter Inhalt
der Norm und der Imperativsetzungs wille des Gesetzgebers. Kein un-
geeigneter Inhalt ist die Adressierung der Norm an den Gesetzgeber selbst.
Dies kann nur leugnen, wer Imperativ und Wirksamkeit (Verbindlichkeit,
Zwang) miteinander vermengt. Dagegen sind willensunfähige (unzurech-
nungsfähige, juristische) Personen keine tauglichen Adressaten. Bei der
Adressierung von Imperativen an willensunfähige Personen ist der mate-
rielle Adressat ein zurechnungsfähiger Mensch, z. B. der gesetzliche
Vertreter der unzurechnungsfähigen, das Organ der juristischen Person,
nur daß der Gesetzgeber die Verpflichtung der Kürze halber der willens-
unfähigen Person (dem formellen Adressaten) „zurechnet“. Solche
Figuren bilden für den Gesetzgeber ein technisches Hilfsmittel, um kom-
plizierte Verhältnisse bequem und anschaulich zu normieren. Auch diese
Ausführungen des Verfassers sind in der Hauptsache schlüssig und über-
zeugend; nur werden sie bei allen denen lebhaften Widerspruch auslösen,
die juristische Personen als willensbegabte Realitäten, folglich als taug-
liche materielle Adressaten gesetzgeberischer Imperative betrachten. Die
Selbstverständlichkeit, mit der W. die Willensunfähigkeit juristischer Per-
sonen hinstellt, steht doch in einem gar zu krassen Mißverhältnis zu der
großen Bedeutung, die jener Lehre im Rechtsleben zukommt.
Innerhalb der Gesetzesform müssen nun Urteilsnormen und Handlungs-
normen, wenn sie neben der Form zum Wesen des Gesetzesbegriffs gehören
sollen, ineineminnerenZusammenhang zueinander stehen. Urteils-
und Imperativfunktion der Gesetzesgedanken bedingen sich in der Tat
gegenseitig. Die Imperativ- verhält sich zur Urteilsfunktion wie das Mittel
zum Zweck. Die Urteilsnormen sind nur dann und nur insoweit echte Ge-
setzesgedanken, als sie eine positive Beziehung zu einem Gesetzesimperativ
aufweisen können. Andernfalls sind die Urteilsnormen überhaupt keine
gesetzlichen Normen, sondern fallen in den rechtsleeren Raum; so z. B.
Motive, Bitten, Wünsche, viele Grundrechte. Entschieden warnt W. aber
davor, in solchen Fällen von vorkonstitutionellen „formellen Gesetzen“ zu
sprechen; eine solche Bezeichnung sei im vorkonstitutionellen Preußen
ohne rechtliche Eigenart, daher unnütz und.wertlos, überdies gefährlich,
weil sie den Unterschied zwischen echten und unechten Gesetzesgedanken
werwische.