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Die völkerrechtssetzende Vereinbarung verpflichtet den Staat, folglich auch
geine Organe. Was W. gegen diese These ins Feld führt, ist von seiner
Grundauffassung aus folgerichtig. Anderseits läßt gerade die TRIEPELSche
Völkerrechtstheorie doch ernste Zweifel an der Richtigkeit eben dieser W.'
Grundauffassung wach werden. Die Ansicht v. VERDROSS’ beweist nach W.,
wie die Macht der überlieferten Vorstellung vom Völkerrecht als einem in
seiner Geltung dem einseitigen Willen der Vertragsstaaten entrückten Recht
selbst solche, die auf dem richtigen Wege waren, vom Ziel abführt. SOMLO
endlich leugnet das Völkerrecht ganz, erkennt seine Normen überhaupt nicht
als Rechtsnormen an. Besonders interessant ist der Exkurs über Artikel4
der Reichsverfassung, wenngleich recht wenig schmeichelhaft für
die Verfasser dieses Artikels, deren Völkerrechtskenntnisse in einem recht
trüben Lichte erscheinen. W. weist überzeugend nach, daß sich die Väter
des Art. 4 seiner Tragweite gar nicht bewußt gewesen sind. Die eingehende
Analyse der Entstehungsgeschichte und der juristischen Grundgedanken des
Art. 4 ergibt folgendes Resultat: Durch diese Vorschrift wird an den Tat-
bestand der Entstehung des Völkerrechts die Erzeugung des von diesem
gebotenen, bisher noch nirgends vorhandenen Rechts geknüpft. Dieses
Recht ist im gebietenden Völkerrecht nur erst inhaltlich formuliert. Kraft
der Klausel des Art. 4 wird dieser Inhalt mit der Entstehung des ge-
bietenden Völkerrechts ohne weiteres zu geltendem Reichsrecht, Art. 4
stellt nicht etwa fest, daß die allgemein anerkannten Völkerrechtsnormen
organischer Bestandteil des deutschen Rechts seien, sondern bestimmt, daß
das von diesem Völkerrecht geforderte Recht für Behörden und Bürger un-
mittelbar, ohne weiteren Rechtsetzungsakt, entsteht. Gleichwohl wollte
Art. 4 die besonderen Verfassungsvorschriften über die Gesetzgebung (z. B.
Mitwirkung von Reichsrat und Volksreferendum) nicht ausschalten. Daher
ist die Bedeutung des Art. 4 dahin einzuschränken, daß er das ihm gemäße
innerstaatliche Recht unmittelbar (ohne Mitwirkung der Gesetzgebungs-
organe) nur insoweit hervorbringt, als dieses in einer von der RV. nicht
besonders geregelten Form entsteht, nämlich als Gewohnheitsrecht. Mithin
besitzt Art. 4 praktische Bedeutung nur für das Völkergewohnheits-
recht.
Zum Schluß wendet W. die Folgerungen seiner Grundauffassung vom
Völkerrecht auf zweibesondere völkerrechtlicheStreitfragen an.
Die erste Streitfrage betrifft den Zeitpunkt der Entstehung
zwischenstaatlichen Rechtes mit Bezug auf die Zustimmung der Volks-
vertretung und anderer Staatsorgane. Hierfür ist in jedem Staat sein
Staatsrecht in Verbindung mit seinem Völkerrecht maßgebend; doch kann
die Antwort für jeden Staat nur einheitlich, nicht etwa nach den beiden
bezeichneten Rechtsausschnitten verschieden lauten, weil ein Widerspruch
zwischen zwei organischen Abteilungen eines und desselben Rechtssystems
nicht möglich ist. Nach dem geltenden Reichsrecht begründet Art. 45 III