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‘vollkommene Befriedigung gewähren kann. Es verdient rückhaltlos an-
erkannt und rühmend hervorgehoben zu werden, daß uns W. wohl zum
ersten Male eine innerlich geschlossene, mit schärfster logischer Folge-
richtigkeit durchgeführte und jeder Abbiegung und Konzession peinlichst
abholde Konstruktion des schwierigen Völkerrechtsproblems bietet. Und
ebensowenig kann geleugnet werden, daß seine scharfsinnigen Ausführungen
endgültig die Irrlehre der Ueberstaatlichkeit des Völkerrechtes wissenschaft-
lich begraben haben. Andrerseits aber dürfte doch wohl das kunstvoll
geschlossene und lückenlos einheitliche Gebäude, das der Verf. vor unserem
geistigen Auge erstehen läßt, der Wirklichkeit nicht ganz gerecht werden.
An ihren Früchten erkennt man die Stichhaltigkeit auch dieser Völkerrechts-
auffassung. In schroffem Widerspruch mit der tatsächlichen Entwicklung
und der übereinstimmenden Ansicht der Kulturnationen scheint mir vor allem
die Folgerung zu stehen, daß die Bindung des Staates an eine einmal ab-
geschlossene völkerrechtliche Vereinbarung in das souveräne Belieben dieses
Staates gestellt sei, daß der Grundsatz „pacta sunt servanda“ nicht allen
völkerrechtlichen Systemen immanent, nicht notwendig Fundamentalsatz
jedes Völkerrechtes sei. Eine Leugnung dieser Tatsachen und Rechts-
überzeugungen beweist, daß in den Prämissen irgend etwas nicht stimmen
muß, daß die ausnahmslose Durchführung einer von richtigen Grundanschau-
ungen ausgehenden Völkerrechtskonstruktion mit den Tatsachen der Wirk-
lichkeit unvereinbar ist. Dieser unbestreitbaren Tatsache, daß es doch
Bindungen gibt, die ein Staat eben nicht einseitig abschütteln kann, muß
eine richtige Völkerrechtstheorie gerecht werden, Daher dürfte die prin-
zipielle Gleichsetzung von Völkerrecht und Gesetzesrecht doch nicht auf-
reehtzuerhalten sein. Es bestehen doch, wie TRIEPEL mit Recht hervorhebt
grundsätzliche Unterschiede zwischen Völkerrecht und Landesrecht, die nicht
ohne Vergewaltigung der Tatsachen fortgeleugnet werden können. Nament-
lich möchte ich an der Verschiedenheit der Adressaten bei Völkerrecht und
Landesrecht ebenso wie an der Verschiedenheit der Rechtsquellen und an
der Verschiedenheit der Rechtsinhalte festhalten und glauben, daß aller
Scharfsinn WENZELs die TRIEPELsche Lehre vom Völkerrecht zwar wertvoll
modifiziert, aber in ihren Grundlagen nicht zu erschüttern vermocht hat.
Daß diese Zweifel und Bedenken aber den außerordentlichen wigsen-
schaftlichen Gesamtwert des inhaltreichen, von Anfang bis Ende
förderlichen Buches nicht verkleinern wollen und können, sei nachdrücklich
betont. W.’ Werk zeichnet sich durch ein ungewöhnliches Maß logischen
Denkens, juristischen Scharfsinns, eiserner Folgerichtigkeit, zähen und un-
ermüdlichen Ringens nach Klarheit, mustergültiger Gründlichkeit und er-
staunlicher Belesenheit in juristischer und philosophischer Literatur. aus.
Es behandelt die schwierigsten und umstrittensten Probleme der Wissen-
schaft des öffentlichen Rechtes, Mit jugendlicher Entschlossenheit und
kühnem Forschermut beschreitet der Verf., überall selbständig vorgehend,