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rungen ist gebilligt von LaBAnD, Staatsrecht des Deutschen Reichs 5. Aufl.
Bd.1 (1911) S. 271, v. SEYDEL, Kommentar zur Verfassungsurkunde 2. Aufl.
(1897) S. 407, v. JAGEMANN, Die deutsche Reichsverfassung (1904) S. 218,
ARNDT, Verfassung des Deutschen Reichs 5. Aufl. (1913) Art. 76 Anm. 7
S. 368.
Bei Entscheidung der Streitfrage ist zu berücksichtigen, daß die tat-
sächlichen und rechtlichen Verhältnisse in den einzelnen Ländern seit der
Revolution erheblich verändert sind. Ein Verfassungsstreit zwischen Landes-
regierung und Landesvertretung wegen Bruchs der Landesverfassung, wie
er früher in Hannover und anderen Ländern vorgekommen ist, ist heute
kaum noch möglich, Er wird durch Art. 17 der neuen Reichsverfassung
verhindert oder wenigstens sehr erschwert, denn dieser Artikel schreibt vor
1. Jedes Land muß eine freistaatliche Verfassung mit einer Volksver-
tretung haben, die nach einem bestimmten, näher bezeichneten Wahl-
system zu wählen ist. 2. Jede Landesregierung bedarf des Vertrauens
der Volksvertretung. Bei Zuwiderhandlungen gegen Art. 17 muß
jede Landesregierung mit der Gefahr rechnen, daß die Reichsregierung auf
Grund des Art. 48 Abs. 1 der Reichsverfassung einschreitet. Möglich bleibt
aber trotz des Art. 17 der gemeinsame Verfassungsbruch einer Landes-
regierung und der Mehrheit einer Volksvertretung, und zwar in doppelter
Richtung: Entweder wird die Verfassung geändert, ohne daß die er-
schwerenden Vorschriften über Verfassungsänderungen beachtet werden,
oder die Verfassung wird nicht geändert, tatsächlich aber hinsichtlich
einzelner Bestimmungen z. B. hinsichtlich der Dauer der Landesvertretung
außer Kraft gesetzt, damit die Mehrheit der Landesvertretung und die von
ihr berufene Regierung möglichst lange im Besitz der politischen Macht
bleiben. Wäre in solchen Fällen keine Abhilfe im Wege des Art. 19 mög-
lich, so müßte für die Minderheit der Landesvertretung und für die große
Masse der Wähler derselbe Zustand der Rechtlosigkeit fortbestehen, dessen
Beseitigung durch Schaffung eines Bundesgerichts bzw. eines Staatsgerichts-
hofs schon seit den Zeiten des Deutschen Bundes erstrebt wurde, vgl.
Frankfurter Reichsverfassung vom 28. März 1849 $ 126 fi.
Im vorliegenden Falle wird eine gemeinschaftliche Verfassungsverletzung
der Landesregierung. und der Landesversammlung von Braunschweig be-
bauptet. Die Antragsteller müssen schon in ihrer Eigenschaft als An-
gehörige des Landtags und einer Landtagsfraktion für legitimiert erachtet
werden, solche Verletzungen auf dem in der Reichsverfassung bezeichneten
Wege zu rügen. Ob sie das gleiche Recht auch in ihrer Eigenschaft als
wahlberechtigte Staatsbürger besitzen, bedarf im vorliegenden Falle keiner
Prüfung.
III.
Art. 19 der Reichsverfassung kann auf den vorliegenden Fall nur dann
angewendet werden, wenn im Lande Braunschweig kein Gericht zur Er-
ledigung von Verfassungsstreitigkeiten besteht.