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daß es ein kühnes Unternehmen ist, das hier in die Wege geleitet wurde.
Denn jedes Problem der Vergangenheit führte zu neuer Fragestellung, bis
sich schließlich die Herausgeber genötigt sahen, die ganze Periode unserer
auswärtigen Beziehungen seit 1871 zur Darstellung zu bringen.
Es ist kein Zufall, da& man am Frankfurter Frieden haltmachte und
nicht versuchte, die Schritte nach weiter rückwärts zu lenken. Denn wer
vorurteilsfrei die Geschichte des 19. Jahrhunderts überblickt, muß zugeben,
daß eben der Frieden von Frankfurt für die europäische Staatenpolitik
Epoche bedeutet. War durch den Krieg 1870/71 die Machtstellung Frank-
reichs in Europa dadurch wesentlich und sehr zum Besten des Friedens
beeinträchtigt und umgestaltet worden, daß ihm durch den Verlust seiner
Stellung am Rhein die Möglichkeit bestimmenden Einflusses auf Mittel-
europa genommen war, so beginnt nunmehr und zwar unmittelbar mit dem
Frieden jene französische Politik einzusetzen, die die alte Stellung am
Rhein für Frankreich wiederzugewinnen bestrebt war, den deutsch-französi-
schen Gegensatz perpetuierte und für die Welt eine dauernde Friedens-
bedrohung bildete.
Die Aufgabe, die sich die Verfasser gestellt haben, in die verwickelten
Verhältnisse der letzten Jahrzehnte Licht zu bringen, konnte natürlich
nicht so gelöst werden, daß sämtliche Akten des Auswärtigen Amtes restlos
veröffentlicht wurden. Es wäre dann ein Werk entstanden, unübersehbar
im ganzen, unbrauchbar im einzelnen. Eine Auswahl mußte getroffen
werden. Aber man muß den Herausgebern zugeben, daß die Auswahl eine
überaus glückliche gewesen ist. Ja, der Vorwurf, die Akten einseitig zum
Vorteil Deutschlands ausgesucht zu haben, kann überhaupt nicht erhoben
werden, wie die Sammlung selbst ergibt. Die einzelnen Kapitel ergeben
stets ein so lückenloses, in sich geschlossenes Bild, lassen die deutsche Politik
so klar erkennen, daß es einfach unmöglich ist, daß Akten, die mit dem
Veröffentlichten in Widerspruch stehen, vorhanden sind. Sie würden in die
übrigen Akten nicht hineinpassen. Der Wille, die Absicht, die Tendenz der
deutschen Staatsmänner und der von ihnen betriebenen Politik ist unwider-
leglich klargelegt. Das nicht veröffentlichte Material mag einzelne Züge des
Gesamtbildes vertiefen können; ein anderes aber ist nicht möglich.
Die Darstellung selbst ist keine rein chronologische wie etwa bei
der bekannten Aktenveröffentlichung der französischen Regierung über die
Fintstehung des Krieges 1870/71. Einzelne Fragen vielmehr sind als
solche geschlossen und dann in sich chronologisch behandelt. Daß
hierdurch unter Umständen Paralleldarstellungen notwendig wurden, ist
selbstverständlich. Dieser Nachteil (wenn es denn ein solcher sein soll),
muß indessen in den Kauf genommen werden. Denn die reine chronologische
Darstellung führt zu einer solchen Unübersichtlichkeit, daß das so ver-
öffentlichte Material erst wieder hätte verarbeitet werden müssen, sollte
Klarheit in die Zusammenhänge gebracht werden. Daß die Herausgeber
Archiv des öffentlichen Rechts. N, F. 5. Heft 1.