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richtig würdigen, so erscheint eine Betrachtung verschiedener
möglicher Fälle am Platze. Zunächst ist es möglich, daß die
Voraussetzungen des Art. 55 pr. V. gegeben sind, objektiv betrach-
tet, auch die des Art. 48 RV. vorliegen, der Reichspräsident aber
die ihm erlaubten Maßnahmen nicht vornehmen will. Hier.
ist im Rahmen ihrer Polizeihoheit die Landesregierung nicht ge-
hindert, gesetzgeberisch vorzugehen. Soweit sie das aber kann
und für solche Fälle steht Art. 55 nichts im Wege, wird ledig-
lich die Form der Gesetzgebung durch die der Verordnung ersetzt.
Greift der Reichspräsident gemäß Art. 48 RV. ein, so kann —
das ist Sache der konkreten Maßnahme — ihr Gesetzgebungs-
recht in concreto gesperrt sein. Das gleiche gilt dann für das
nur formell verschiedene Notverordnungsrecht. Aber auch so-
weit die Landesregierung nach Art. 48 RV. als Reichsorgan tätig
werden kann, muß Entsprechendes gelten. Es ist nicht recht
abzusehen, warum die preußische Landesregierung nicht befugt
sein sollte, ohne von dem schweren Geschütz des Art. 48 der
Reichsverfassung Gebrauch zu machen, von dem sie Gebrauch
machen kann, nicht muß, eine Verordnung nach Art. 55 der
preußischen Verfassung zu erlassen in einer Frage, in der sie sich
vielleicht nur ungern dazu entschließen würde, Art. 48 RV. anzuwen-
den. Hier handelt sie als Landesorgan, so daß sie also zu reichsrecht-
lichen Normen sich nicht in Widerspruch setzen darf, während
ihr dies allerdings im Rahmen ihrer Befugnisse aus Art. 48 IV
RV. gestattet ist. Unzulässig sind demgemäß landesgesetzliche
Vorschriften, wie z.B. in $ 64 der bayr. VU.°l, wenn dort ganz
allgemein von der Befugnis zur Außerkraftsetzung der verfassungs-
mäßigen Grundrechte gesprochen wird. Und ich betrachte es
auch als eine unzulässige Einschränkung des Ermessens der Lan-
desregierung gemäß Art. 48 RV., wenn $ 64 bestimmt, daß das
sı PıLotyY, Die Verfassungsurkunde des Freistaats Bayern, 1919,
S. 151, insoweit zu Unrecht, als er $ 64 bayr. VU. mit Art. 48 IV ganz
allgemein in Einklang stehend ansieht.