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verfassung nichts im Wege stehen, die der Diktator für
nötig hält, wenn nicht die Immunität der Verfassung sich dar-
aus ergeben würde, daß alsbald einige Normen der Verfassung als
ganz oder teilweise suspendierbar bezeichnet würden. Ausdieser
Suspendierbarkeiteiniger folgt die Unverletz-
lichkeit aller übrigen Verfassungsbestim-
mungen" perargumentume contrario. Dabei ver-
steht sich von selbst, daß auch solche Normen, die die Ver-
fassung abändern, unangreifbar sind, während Gesetze, die zwar
in Form eines verfassungsändernden Reichsgesetzes ergangen sind,
ohne aber selber damit zum Bestandteil der Verfassung zu wer-
den, sehr wohl außer Kurs gesetzt werden können*!. Wenn also
das Gesetz zum Schutz der Republik vom 21, Juli 19222 als
verfassungsänderndes ergangen ist, so war doch die bay-
rische Regierung durch die Unantastbarkeit
der Reichsverfassung nicht gehindert, es unter
Berufung auf Art. 48 IV der Reichsverfassung
zum Teildurch andere Vorschriften zu ersetzen.
Von der soeben gemachten Einschränkung zugunsten der Reichs-
verfassung abgesehen, darf aber die Landesregierung nach freiem
pflichtmäßigem Ermessen alle*’ von ihr für nötig gehaltenen
kung bezüglich dieser Maßnahmen ist nicht vorgesehen. Es können nur
nicht Maßnahmen in Frage kommen, die die Verfassung selbst be-
treffen.“
4° Nicht nur der Grundrechte! Vgl. GRAU 52 ff.
41 Dieser Unterschied wird erstaunlicherweise verkannt! Unrichtig
daher GRAU 58!, wenn er die grundrechtlichen Sicherungen der Minoritäten
nach Art. 65, 73 des mit verfassungsändernder Mehrheit in Landesrecht
umgegossenen Vertrags mit Polen über Oberschlesien vom 15. V. 1922
(Text: STRUPP, documents pour servir & l’histoire du droit des gens, Bd. IV,
1923 S.) als dem Eingriffe der Diktatur nach Art. 48 entgegen ansieht. Das
sind sie nicht. Wohl aber kann ihre Suspension ein völkerrechtliches
Delikt beinhalten, sofern nicht echter völkerrechtlicher Notstand vorliegt.
Vgl. dazu mein völkerrechtliches Delikt, 1920.
“ RGBI, I S. 585.
#8 Richtig RG.Strafs. 56, S. 161, 165; bayr. Ob.L.G. 4. VII. 1921 Rev.
Sen. II Nr. 152/1921 und die Begründung zur bayrischen Schutzverordnung