Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 44 (44)

I. 
Literatur. 
  
Berthold Freudenthal, Die politische Erziehung des Deut- 
schen. (Recht und Staat in Geschichte und Gegenwart. Heft 21.) 
Tübingen, Verlag von J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 1921. 18 Seiten. 
Eine sehr ansprechende, inhaltreiche Schrift, die nicht den Anspruch 
erhebt, viel Neues zu bringen, die aber eine Fülle beherzigenswerter, ernster 
Gedanken in origineller Form zusammenstellt und durch zahlreiche Bei- 
spiele aus Vergangenheit und Jetztzeit die politische Unreife unseres Volkes 
zu erweisen und Wege zur Besserung zu zeigen weiß! FREUDENTHAL spricht 
keiner Partei zulieb oder zuleide. Er beleuchtet die politische Enge und 
die wirtschaftliche Gedrücktheit früherer Jahrhunderte deutschen Lebens, 
den Mangel politischer Erziehung in der Zeit des Polizeistaates, in dem 
ein inneres Verhältnis zum Staat durchaus fehlte. Mit dem mächtigen 
politischen Aufschwung, der sich an die Namen Bismarck und Moltke knüpft, 
konnte die politische Reife des Volkes nicht Schritt halten. Schwere Partei- 
kämpfe übten verbitternde Wirkung. Das an politischer Macht gewinnende 
Deutschland gewann nicht ebenso rasch an Kultur. Ein gewisses Par- 
venutum und starke Geburtenüberschüsse legten aller Welt den Gedanken 
deutscher Ausdehnungspolitik nahe. Wie die Reden Wilhelms II. zwischen 
gelegentlichem fast zu großem Bemühen um andere und einer aufreizend 
wirkenden Ueberschätzung unseres eigenen Wertes schwankten und in der 
Auslandspresse ausgenützt wurden, so auch das Verhalten der deutschen 
Bürger. Wo war der Männerstolz vor Königsthronen, wo die nationale 
Würde des einzelnen? Nicht selten begegnete man einem Ueberschwang 
des Nationalempfindens, der kaum weniger die politische Reife vermissen 
ließ. Das politische Gleichmaß fehlte auch im Innern. Viel Beamtenfeind- 
lichkeit und Staatsfeindlichkeit wurde durch unfreundliche Polizei- und 
Postbeamte hervorgerufen. Ein Zeichen politischer Unreife war es, wenn 
der Beamte sich über den Kaufmann erhob; auch die deutsche Neigung, 
mehr Verständnis für die gegnerische als für die deutsche Auffassung zur
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.