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Schau zu tragen, führt auf Unreife zurück. Vor gewissen alten Formen
des Patriotismus, in denen so viel Phrasentum und Unaufrichtigkeit, Un-
zuverlässigkeit und Selbstsucht steckte, bemächtigt sich vieler Meuschen
ein tiefer Ekel. Nach dem Zusammenbruch zeigte sich viel Verkommen-
heit, Gleichgültigkeit, Stumpfheit. Das ans Ruder gelangende Volk war
weder sozial noch politisch reifer als es zuvor die Besitzenden gewesen
waren; das Volk versagte dem Staat, zum Teil unter wilden Gewalttätig-
keiten, was der Staat zum Dasein braucht. — Jetzt heißt es, aufbauen, auf
allen Gebieten! Waren wir politisch unreif, so heißt es nun, politisch reif
werden. Wer über die Fragen politischer Bildung nachgedacht hat, der
ist verpflichtet, ein paar Steinchen zum Wiederaufbau beizutragen. Politische
Erziehung ist Erziehung zum Nachdenken über den Staat und Erziehung
zum Handeln für den Staat. Gar manches, was patriotisch erscheint, ist
in Wahrheit kein Handeln für den Staat. Es ist kein Patriotismus, mit
heroischer Gebärde die Ausländer von unseren Hochschulen zu weisen, weil
ihre Staaten gegen uns Krieg geführt haben. Rache ist ein schlechter
politischer Wegweiser. Wer von Ausländern Deutschland und seine Wissen-
schaft kennt, wird eine Art deutscher Vorposten. Ebensowenig ist die
Jagd auf unübersetzbare und unentbehrliche Fremdwörter wirklicher Patrio-
tismus. Es. ist kein echter Patriotismus, der unsere Vergangenheit klein
oder gar verächtlich macht. Was einmal groß war, wird nicht klein, wenn
sich die Staatsform ändert. Jeder muß zu seinem Teil dazu beitragen,
unser Land wieder in die Höhe zu bringen und zwar durch die Ueber-
windung alles Trennenden, Hemmenden und Kleinen, durch die Förderung
alles dessen, was eint, verbindet und groß ist. Unser alleroberstes Ziel
muß sein: für die Reichseinheit, gegen den Partikularismus, gegen Ab-
lösungsbestrebungen, welcher Art sie auch sind. Der Staat, der Nutzen
der Allgemeinheit, nicht eine Partei, ist Gegenstand unseres Denkens und
Handelns. Fort mit den Gehässigkeiten im öffentlichen Leben! Weg mit
der Auffassung, daß der Andersdenkende entweder an Verstand oder an
Charakter notleide! Vom nationalen Standpunkt ists ein Jammer, wenn
man durch Unduldsamkeit die Angehörigen eines bestimmten Bekenntnisses
in die Gegnerschaft zum Staate geradezu hineintreibt. Jeder werde sich
seiner Verantwortung bewußt; kaum irgendwo liegt größere Verantwortung
als bei der Presse. Nicht zu unterschätzen sind die Fragen nationaler Höf-
lichkeit, die Pflichten öffentlichen Anstandes. Eine crux jeder Demokratie
bildet die Frage der Politisierung notwendig neutraler Stellen. In Politi-
sierung am falschen Orte liegt ein pathologischer Zustand; die Gefahr ist
die des amerikanischen Beutesystems. Nun und nimmermehr darf es eine
politische Wissenschaft geben; wollten Parlamentsmehrheiten jemals auf
die Besetzung von Lehrstühlen oder gar Lehrmeinungen entscheidenden
Einfluß nehmen, so wäre das der Tod der deutschen Wissenschaft, eines
kostbaren Nationalgutes. Die Schuljugend sollte von Parteipolitik ganz
Archiv des öffentlichen Rechts. N. F. 5. Heft 3. 25