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Guhl, Theo.,, Bundesgesetz, Bundesbeschluss und Verord-
nung nach schweizerischem Staatsrecht. (Vom Schweizerischen
Juristenverein preisgekrönt). 111 S. Basel 1908.
Die vorliegende Monographie behandelt eines der schwierigsten Ge-
biete des schweizerischen Bundesstaatsrechts: die Lehre von den Quellen
des schweizerischen Bundesrechts, soweit dieses nicht Verfassungsrecht ist.
Die Arbeit zerfällt in zwei Teile, einen ersten, welcher sich mit der legis-
lativen und einen zweiten, welcher sich mit der exekutiven Rechtssetzung
befasst. Ueber das Verordnungsrecht des Bundes hat GUHL zum ersten
Mal eingehend systematisch geschrieben ; über Bundesgesetz und Bundesbe-
schluss dagegen ist sowohl im Parlament als in der wissenschaftlichen Lite-
ratur ziemlich viel gesprochen worden, da die Unterscheidung zwischen Bun-
desgesetz und Bundesbeschluss von politischer Bedeutung ist. Während die
alte Bundesverfassung von 1848 die ganze Gesetzgebung, ohne zwischen
materiellen und fornıellen Gesetzen zu unterscheiden, der Bundesversamnı-
lung übertrug, verlieh die revidierte Verfassung von 1874 8 Kantonen oder
30 000 Schweizerbürgern das Recht eine Volksabstimmung (Referendum) zu
verlangen, sofern es sich um Bundesgesetze und allgemein verbindliche,
nicht als dringlich erklärte Bundesbeschlüsse handelt. Es besteht nun Einig-
keit darüber, dass die Bundesversammlung unkontrollierbar bestimmt, wie
sie ihre Schlussnahmen charakterisieren will, aber ebenso steht fest, dass
nicht willkürlich dabei verfahren werden darf, sondern dass die Verfassung
bei der Einräumung eines legislativen Kontrollrechts an das Volk eine
prinzipielle Forderung aufstelltee Gun befindet sich im wesentlichen in
Uebereinstimmung mit den meisten Autoren, wenn er annimmt, dass die Verfas-
sung dem Volk lediglich ein Recht der Kontrolle über die materielle Gesetz-
gebung, nicht aber ein solches über die in Form von Bundesbeschlüssen er-
scheinenden Regierungs- und Verwaltungsakte einräumen wollte. Es ist
nicht zu leugnen, dass GUHL seinen Standpunkt durch eine Reihe treffen-
der, aus dem früheren Verfassungsrecht und den Gesetzesmaterialen ge-
wonnener Argumente begründet, aber er befindet sich mit seiner Auffassung
im Widerspruch mit der parlamentarischen Praxis. Um darüber hinwegzu-
kommen, erklärt er — in Uebereinstimmung mit einer Reihe anderer Au-
toren — die Praxis der Bundesversammlung als prinzipienlos und wider-
spruchsvoll und deshalb als wissenschaftlich unverwertbar — und übergeht
sie deshalb auch vollständig. Wir sind der Meinung, dass eine solche Bei-
seiteschiebung der Uebung einer obersten unkontrollierbaren Behörde, ins-
besondere auf dem Gebiete des Staatsrechts, unzulässig ist. Welches die
Absicht des Verfassungsgesetzgebers gewesen, mag dahingestellt bleiben.
denn jedenfalls ist nicht anzunehmen, dass nach mehr als drei Dezennien
die Bundesversammlung einer historisch vielleicht gut fundierten Theorie
zu liebe von ihrer bisherigen Uebung abgehe; noch weniger würde das
Volk einer Beschränkung seines Einflusses zustimmen. Aufgabe der Staats-