Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 45 (45)

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frühere Leipziger Unabhängige Liebmann. Illustrierend wirkt wiederum 
die Erklärung des kommunistischen Führers vor der Wahl, daß die 
grundsätzliche Stellung seiner Partei zum bürgerlichen Parlamentaris- 
mus unberührt bleibe. Eine zwingende Forderung für den Fortbestand 
der künftigen Regierung sei eine unmittelbare Zusammenarbeit mit 
der Arbeiterklasse außerhalb des Parlaments. 
In der bürgerlichen Presse hat sich die Entrüstung über den vor- 
läufigen Ausgang der Krise unverhohlen Luft gemacht. Dabei ist 
allgemein betont worden, die sozialdemokratische Partei habe sich mit 
ihren Zugeständnissen an den Kommunismus von den Grundlagen ent- 
fernt, welche nach der Verfassung für eine jede Regierung gegeben 
sein müßten. Es dürfte daher angebracht sein, die hier in ihrer poli- 
tischen Entwicklung geschilderten Vorgänge nunmehr noch einer staats- 
rechtlichen Kritik zu unterziehen. 
II. 
Schon bei der Regierungsbildung im Dezember 1920 wurde von 
bürgerlicher Seite mit Leidenschaftlichkeit behauptet, das Vorgehen 
der Sozialdemokraten verstoße gegen die Verfassung, und der Führer 
der demokratischen Partei sprach von einem „Streich gegen das 
parlamentarische System“. Auch während der oben geschilderten 
weiteren Entwicklung der Krise ist dieser Vorwurf von bürgerlicher 
Seite immer von neuem erhoben worden. Betrachtet man die Lage 
mit den Blicken des kühl wägenden Juristen und nicht mit den Augen 
des in seinen Erwartungen enttäuschten Politikers, so wird man dieser 
Auffassung nicht schlechthin beipflichten können. Die Verfassung des 
Freistaates Sachsen vom 1. November 1920 bestimmt in Artikel 26, 
daß der Ministerpräsident vom Landtage bei Anwesenheit von minde- 
stens 2/3 der gesetzlichen Zahl der Abgeordneten gewählt wird. Ge- 
wählt ist, wer mehr als die Hälfte der abgegebenen Stimmen erhalten 
hat. Diese Voraussetzungen sind bei der Wahl erfüllt worden. Daß 
die kommunistische Partei, die für den sozialistischen Ministerpräsi- 
denten stimmte, nicht selbst mit in die Regierung eingetreten ist, 
macht die Wahl nicht fehlerhaft. Die Bildung einer Minderheits- 
regierung, die sich im Parlamente auf eine in der Regierung nicht 
selbst vertretene Nachbarpartei stützt, ist bei den zersplitterten Partei- 
verhältnissen und starken Parteigegensätzen in Deutschland nicht 
selten eine Notwendigkeit, wie die Verhältnisse im Reich bei der 
Bildung der Reichsregierung bereits mehrfach gezeigt haben. Sie 
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