Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 45 (45)

— 116 — 
verstößt weder gegen die Verfassung noch gegen den Geist des parla- 
mentarischen Systems. Allerdings wird ihre Stellung im Parlamente 
in der Regel nicht sehr gefestigt sein und sie muß stürzen, sobald 
bei wichtigen Entscheidungen die erforderliche Abstimmungsbilfe aus- 
bleibt. Dies gilt auch für die Lage der sächsischen Minderheitsregie- 
rung. Daß ihr mehrfach Vorlagen durch Zufallsmehrheiten abgelehnt 
worden sind, war bei der Wiederholung solcher Situationen immerhin 
bedenklich aber nicht entscheidend, da kein Zweifel darüber besteht, 
daß auch eine parlamentarische Regierung die gelegentliche Ablehnung 
einer Vorlage überstehen kann. Kritisch wurde die Lage erst, als bei 
der Abstimmung über eine für den Staat lebensnotwendige Vorlage, 
wie es die Neuordnung des Polizeiwesens oder gar der Justizetat 
waren, die kommunistische Fraktion von der Regierung abschwenkte. 
Wenn auch die sächsische Verfassung in Artikel 27 Abs. 2 die Miß- 
trauenskundgebung des Landtages gegen den Minister dahin normiert, 
daß jeder Minister zurücktreten muß, wenn der Landtag durch aus- 
drücklichen Beschluß, den die Mehrheit der gesetzlichen Zahl der 
Abgeordneten faßt, ihm das Vertrauen entzieht oder seinen Rücktritt 
fordert, so kann dies doch nicht die einzig zulässige Form des Miß- 
trauensvotums und damit der Beseitigung eines Ministers durch den 
Landtag sein. Die endgültige Ablehnung eines wichtigen Teiles des 
Stasatshaushaltplans, wie des Justizetats, muß zum mindesten für den 
betroffenen Minister genau dieselbe Wirkung haben. Da die Regie- 
rung unter diesen Umständen nicht fortgeführt werden kann, ist der 
Ministerpräsident gezwungen, durch Rücktritt oder Umbildung des 
Kabinetts den Ausgleich mit der Mehrheit herzustellen. Formal nicht 
anfechtbar war dabei der Standpunkt der betroffenen sächsischen 
Regierung, als sie erklärte, die bei der Verabschiedung des Finanz- 
gesetzes fallende endgültige Entscheidung des Landtages abwarten zu 
wollen. Die in der zweiten Lesung des Etats beschlossene Ablehnung 
enthielt weder ein formelles Mißtrauensvotum im Sinne des Artikel 27 
Abs. 2 Verf. noch verweigerte sie endgültig die Mittel für die Justiz. 
Im August 1922 zerfiel die Regierungsmehrheit endgültig, als die 
kommunistische Fraktion mit der bürgerlichen Opposition für die Auf- 
lösung des Landtages stimmte. Der sozialistische Versuch, die Mög- 
fichkeit einer befristeten Auflösung des Landtages zu schaffen, wobei 
der Landtag den Ablauf der Frist frei sollte bestimmen können, der 
sachlich verfehlt war und keine Mehrheit fand, kann hier übergangen 
werden.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.