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verstößt weder gegen die Verfassung noch gegen den Geist des parla-
mentarischen Systems. Allerdings wird ihre Stellung im Parlamente
in der Regel nicht sehr gefestigt sein und sie muß stürzen, sobald
bei wichtigen Entscheidungen die erforderliche Abstimmungsbilfe aus-
bleibt. Dies gilt auch für die Lage der sächsischen Minderheitsregie-
rung. Daß ihr mehrfach Vorlagen durch Zufallsmehrheiten abgelehnt
worden sind, war bei der Wiederholung solcher Situationen immerhin
bedenklich aber nicht entscheidend, da kein Zweifel darüber besteht,
daß auch eine parlamentarische Regierung die gelegentliche Ablehnung
einer Vorlage überstehen kann. Kritisch wurde die Lage erst, als bei
der Abstimmung über eine für den Staat lebensnotwendige Vorlage,
wie es die Neuordnung des Polizeiwesens oder gar der Justizetat
waren, die kommunistische Fraktion von der Regierung abschwenkte.
Wenn auch die sächsische Verfassung in Artikel 27 Abs. 2 die Miß-
trauenskundgebung des Landtages gegen den Minister dahin normiert,
daß jeder Minister zurücktreten muß, wenn der Landtag durch aus-
drücklichen Beschluß, den die Mehrheit der gesetzlichen Zahl der
Abgeordneten faßt, ihm das Vertrauen entzieht oder seinen Rücktritt
fordert, so kann dies doch nicht die einzig zulässige Form des Miß-
trauensvotums und damit der Beseitigung eines Ministers durch den
Landtag sein. Die endgültige Ablehnung eines wichtigen Teiles des
Stasatshaushaltplans, wie des Justizetats, muß zum mindesten für den
betroffenen Minister genau dieselbe Wirkung haben. Da die Regie-
rung unter diesen Umständen nicht fortgeführt werden kann, ist der
Ministerpräsident gezwungen, durch Rücktritt oder Umbildung des
Kabinetts den Ausgleich mit der Mehrheit herzustellen. Formal nicht
anfechtbar war dabei der Standpunkt der betroffenen sächsischen
Regierung, als sie erklärte, die bei der Verabschiedung des Finanz-
gesetzes fallende endgültige Entscheidung des Landtages abwarten zu
wollen. Die in der zweiten Lesung des Etats beschlossene Ablehnung
enthielt weder ein formelles Mißtrauensvotum im Sinne des Artikel 27
Abs. 2 Verf. noch verweigerte sie endgültig die Mittel für die Justiz.
Im August 1922 zerfiel die Regierungsmehrheit endgültig, als die
kommunistische Fraktion mit der bürgerlichen Opposition für die Auf-
lösung des Landtages stimmte. Der sozialistische Versuch, die Mög-
fichkeit einer befristeten Auflösung des Landtages zu schaffen, wobei
der Landtag den Ablauf der Frist frei sollte bestimmen können, der
sachlich verfehlt war und keine Mehrheit fand, kann hier übergangen
werden.