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Daß die Möglichkeit zu einem derartigen Arnschlusse gegeben war,
ist an sich unbestreitbar. Die verfassungsrechtliche Grundlage dafür
gibt in unserem Fall Art. 137 Abs.2 RV. und $1 Abs. 3 des Rudol-
städter Gesetzes vom 30. März 1920. Letzteres spricht allerdings nur
von der Möglichkeit, daß sich die Landeskirche mit andern Landes-
kirchen verbinden könne, während der maßgebende Art. 137 Abs. 2
S. 2 der RV. ausdrücklich bestimmt, daß der Zusammenschluß von
Religionsgesellschaften innerhalb des Reichsgebiets keinen Be-
schränkungen unterliege. Die Antwort desVolksbildungsministeriums vom
12. Oktober 1922 stellt es nun als zweifelhaft hin, ob auch die ev. Kir-
chengemeinden als Religionsgesellschaften im Sinne dieser Bestimmung
anzusehen seien. Ein Gutachten der thür. Kirchenregierung vom 16. Au-
gust 1922 erklärt sogar direkt: „Religionsgesellschaften im Sinne des
Art. 137 RV. sind eben nicht die Gemeinden, sondern die Kirche.“
Es beruft sich dabei auf Kanu! und Schmitt!!, Aber beide sprechen
einer Gemeinde ein solches Vereinigungsrecht nicht generell ab, son-
dern nur dann, wenn sie in einem öÖfl.-rechtlichen Verbande steht.
„Die Organisationen der Religionsgesellschaften, z. B. die Kirchen-
gemeinden, die Klöster können unmittelbar aus Art. 137 Abs. 3
RV. kein Recht zur Selbstverwaltung ableiten, sie besitzen nur die-
jenige Selbständigkeit, welche ihnen die „Religionsgesellschaft“, d. h.
das kirchliche Verfassungsrecht verleiht 1?.* Selbst wenn man diesen
Sätzen von ScHMITT zustimmt, so ergibt sich daraus noch nicht, daß
eine Gemeinde nicht an sich als eigene Religionsgesellschaft auftreten
kann, wenn sie aus dem Verbande der Landeskirche ausscheidet. Denn
nach evangelischem Kirchenrecht kann eine (Gemeinde sehr
wohl an sich „Kirche“ sein. „Begrifflich bedarf die Einzelgemeinde
nicht der Zuhörigkeit zu einem größeren kirchlichen Verband, um
Kirche zu sein.“ Aehnlich betont STRENGE, daß „die evangelische
Kirche sich auf die Einzelgemeinde begrifflich beschränken kann“ %,
10 KıHL, Gutachten über die Rechtsverhältnisse der St. Anschar-Kapelle
in Hamburg, Hanseatische Rechtszeitschrift vom 15. März 1922, S. 183 ff.
1 SCHMITT, Die Selbstverwaltung der Religionsgesellschaften nach
Art. 137 Abs. 3 der neuen Reichsverfassung, Archiv des öffentl. Rechts
Bd. 42 S. 1.
12 SCHMITT a. 2. 0.8. 3,
13 KÖHLER, Lehrbuch des deutsch-evangelischen Kirchenrechts, 1895, S.34.
18 STRENGE, Ueber Einführung einer Kirchenverfassung für das Herzog-
tum Gotha, Vortrag, 1839, Gotha, Stollbergsche Buchdruckerei, S. 11/12.