— 232 —
‘einer andern Religionsgesellschaft anschließen kann, das erkannte gerade
die neugegründete Thüringer Kirche selbst in dem als Verfassungsstück der
Thüringer Kirche geltenden Artikel8 des Beschlusses der 1. Thüringer
Synode vom 5. Dezember 1919 über den Zusammenschluß der Thü-
ringer Landeskirchen an. Artikel 8 sagt: „Der Eintritt in die Thüringer
evangelische Kirche bleibt für weitere Landeskirchen und Teile
solcher offen.“ Man muß sich dabei vor Augen halten, daß die
Thüringer Kirche selbst ja keine alte Organisation ist, sondern daß
sie auf revolutionärer Grundlage ruht. Der Anstoß zu ihrer Gründung
ging zunächst gar nicht von den alten thüringischen Landeskirchen
aus, sondern von einer ad hoc zusammengesetzten Vorsynode, die man
nicht unzutreffend mit der Stellung eines Rats der Volksbeauftragten
verglichen hat!®, Die Landeskirchen und deren Organe folgten zu-
nächst nur zögernd. Der Landeskirchenrat in Sachsen-Weimar äußerte
am 1. Oktober 1919 erhebliche Bedenken gegen die Berechtigung des
Vorstands der Vorsynode, die Einberufung der Thüringer Synode zu
bewirken!?. Und gerade die Landeskirche Schwarzburg-Rudolstadt
machte lange erhebliche Schwierigkeiten und behielt sich ihre Zustim-
mung noch geraume Zeit vor?®. Erst am 15. Oktober 1920 bat der
Vertreter der Kirchenregierung Rudolstadt um Aufnahme seiner Lan-
deskirche in die Thüringer Kirche?!, ein Antrag, dem allerdings jede
rechtliche Bedeutung abgesprochen werden muß, da der Rudolstädter
Landeskirchentag damals noch gar nicht Stellung genommen hatte.
Aus dieser Entstehung der Thüringer Kirche heraus scheint mir auch
Artikel 8 verständlich zu sein. Man wollte etwas Neues schaffen und
suchte für dieses Neue zu werben bei den kirchlichen Verbänden inner-
halb und außerhalb Thüringens, nicht nur bei den alten Landeskirchen,
sondern auch bei einzelnen Gemeinden. Ob dieser Anschluß nur mit
Zustimmung der betr. Landeskirche, der die fragliche Gemeinde bisher
angehört hatte, möglich war oder nicht, braucht hier nicht erörtert zu
werden, geht auch aus dem Artikel 8 selbst nicht hervor, der nur von
dem Offenstehen der Thüringer Kirche für Teile anderer Landeskirchen
spricht. Der Beschluß der Thüringer Synode war zunächst überhaupt
für niemand rechtsverbindlich, da ja die Thüringer Kirche damals noch
8 REIOHARDT a. a. O. S. 11 ff. besonders S. 17.
19 REICHARDT a. 8. O. S. 16.
22 REICHARDT a. a. O. S. 17.
2! REIOHARDT a. a. O. S. 27.