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Kirchenregiment, soweit es von staatlichen Organen ausgeübt wurde,
an die Organe der Kirche selbst zurückgefallen ist, daß aber damit
eine Auflösung des bisherigen öffentlich-rechtlichen Verbandes nicht
stattgefunden hat und auch von der Reichsverfassung nicht gewollt
war. Ist dem aber so, dann ist die Frage der Möglichkeit einer der-
artigen Gesetzgebung nach heutigem Recht von großer Wichtigkeit.
Hierbei muß man ausgehen von der heutigen Stellung des Staates.
Er ist der einzige Souverän innerhalb seines Gebiets und „schafft
formell die Grundlage alles Rechts“ %, auch für sein Verhältnis zur
Kirche. In Deutschland ist es die Reichsverfassung, die die recht-
liche Grundlage dieses Verhältnisses bildet, und insoweit sie Be-
stimmungen trifft, sind die einzelnen Länder an diese gebunden. Der
Artikel 137 enthält nun 2 Prinzipien für das Verhältnis von Staat
und Kirche, ein altes und ein neues. Das neue ist das Prinzip der
Selbstverwaltung ihrer Angelegenheiten für alle Religionsgesellschaften
innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes. Unbeschadet
seiner Souveränität überweist der Staat dadurch das gesamte inner-
kirchliche Recht der freien Willensbetätigung der Religionsgesell-
schaften und scheidet damit das innerkirchliche Recht als nicht staat-
liches, sondern nur noch nebenstaatliches Recht aus dem Umfange
seiner rechtlichen Betätigungsgewalt aus. Das ist eine Folge des
Grundsatzes der Trennung von Staat und Kirche, den die englische
Gesetzgebung anläßlich der Trennung von Staat und Kirche in Wales
in die prägnanten Worte gefaßt hat: the ecclesiastical law of the Church
in Wales shall cease to exist as law25. Aber diese garantierte Frei-
heit der Religionsgesellschaften von Eingriffen des Staates hat eine
Grenze in dem Grundsatz des Abs. 4 des Art. 137 RV., wonach die
Religionsgesellschaften Körperschaften des öffentlichen Rechts bleiben,
soweit sie solche bisher waren.
Der Begriff der öffentlich-rechtlichen Körperschaft ist durchaus um-
stritten und unklar und ist es besonders auch für seine Anwendung auf die
Kirchen. Schon die Verhandlungen im Verfassungsausschusse der National-
versammlung zeigen, wie schwer eine präzise Antwort über den Begriff
und die Rechte der öffentlich-rechtlichen Korporationen zu geben ist®®.
2?* BREDT a. a. OÖ. S. 178/179.
25 Welsh Church, Act, vom 18. September 1914, S. 3. Weber ihren In-
halt vgl. KOELLREUTTER im Jahrbuch des öffentl. Rechts Bd. 11, 1922, S. 131.
2° Berichte und Protokolle des 8. Ausschusses über den Entwurf einer
Verfassung des Deutschen Reiches, Carl Heymanns Verlag, 1920, vor allem