— 245 —
Truppe zum Abzug zu bestimmen, wobei die Wortführer das Fern-
bleiben jeder Feindseligkeit versicherten, blieben vergeblich. In
einer Verhandlung zwischen Schraepler, Cuntz und dem Betriebsaus-
schusse wurde der Anlaß zum Ziehen der Sirenen als gegeben erachtet
und Cuntz erteilte dazu, nachdem die Arbeitervertreter sich für fried-
lichen Verlauf der Demonstration verbürgt hatten, gegen 9 Uhr die
Anweisung. Auf das Sirenenzeichen hin strömten die Arbeiter in
großer Zahl vor der Halle zusammen. Auf die Beschlagnahmekom-
mission wartete man vergeblich. Die Vertrauensleute der Arbeiter-
schaft, namentlich das Mitglied des Betriebsrats Müller, waren unaus-
gesetzt und mit vollem Erfolge bemüht, die Ordnung aufrecht zu er-
halten, etwaige Unbesonnenheiten, die bei der Disziplin der Arbeiter
ohnehin kaum zu erwarten waren, zu verhüten. Daß die Arbeiter-
masse nicht eine drohende Haltung zeigte, wird durch Photographien,
die während des Vorgangs auf Anordnung der Fabrikleitung aufge-
nommen waren, bewiesen. Durch das Ausbleiben der Kommission
erhielt die Kundgebung eine nicht erwartete Dauer und es entstand
auf beiden Seiten eine begreifliche Spannung. Müller versicherte
wiederholt die friedlichen Absichten der Arbeiter, bat den Offizier,
nicht schießen zu lassen. Um 4/sill Uhr veranlaßte der Betriebsaus-
schuß die Abstellung der Sirenen und suchte, da die Abteilung immer
noch an der Halle verblieb, durch Verhandlung mit dem französischen
Divisionskommandeur in Essen den Abzug zu erwirken. Aber noch
vor Rückkehr der Abgesandten hatte gegen 11 Uhr der Offizier in
dem verhängnisvollen Irrtum, mit seinen Leuten bedroht zu sein, das
Feuer eröffnen lassen. Die Folgen waren der traurigsten Art: 28 Ar-
beiter und Angestellte der Fabrik wurden teils schwer, teils leicht
verletzt, 13 ein Opfer der Kugeln. Unter den letzteren ein Mitglied
des Betriebsrats, das bis zuletzt seiner Pflicht getreu, zur Ruhe mah-
nend, auf dem gefährdeten Posten an der Spitze der Arbeiter ver-
blieben war. Auch Müller hatte noch unmittelbar vor dem Beginne des
Schießens, nachdem der Proteststreik durch das Abstellen der Sirenen
sich erledigt hatte, die Arbeiter aufgefordert, in die Werkstätten zu-
rückzukehren, da die Militärabteilung selbst Requisitionsauftrag nicht
habe und die Beschlagnahmekommission sicher nicht mehr erscheinen
werde. Aber nur die Näherstehenden konnten die Ansprache ver-
nehmen, die Entfernteren drängten nach vorn, nicht zur Bedrohung
der Soldaten, sondern um Müllers Worte zu hören. Das Detachement
zog nach dem Schießen unbehelligt ab.
Archiv des öffentlichen Rechts, N. F. 6. Heft 2. 17