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werden könne, erhebt diese Norm allerdings nicht unmittelbar zum
integrierenden Bestandteil der Verfassung; auch heute noch besteht
die (freilich verwerfliche) Staatspraxis, durch das Erfordernis der für
echte Verfassungsänderungen erforderlichen Majorität einfache Reichs-
gesetze zu Pseudoverfassungsgesetzen zu stempeln ®. Bei den erwähnten
Finanzausgleichsbestimmungen des Zoll.Ver.Vertr. ist aber wohl anzu-
nehmen, daß sie nach Art, 40 a. RV. als echtes Verfassungsrecht an-
gesehen werden sollten „gleichsam als wären sie dem Texte der Ver-
fassungsurkunde eingefügt“ (RFH. Bd. 9 S. 127), Wenn® dem so
ist, so folgert der RFH. (a. a. O. S. 128) mit vollem Recht, daß die
Aufhebung der alten Reichsverfassung durch Art. 178 I der Weimarer
Verfassung auch die Finanzausgleichsbestimmungen des Zoll.Ver.Vertr.
außer Kraft gesetzt habe; die Konsequenz davon wäre aber, daß
damit auch die späteren Abänderungen der im Zoll.Ver.Vertr.
enthaltenen Verfassungsbestandteile hinfällig geworden wären. Der
S 13 I des Zolltarifgesetzes von 1902, welcher die kommunale Be-
steuerung von Genußmitteln verbietet, ist nun aber nichts anderes als
eine Abänderung des $ 7 Art. 5 Abschn. II Zoll.Ver.Vertr., der im
Abs. III der genannten Bestimmung ausdrücklich auch insoweit als
aufgehoben bezeichnet wird. Auch diese Norm des früheren Finanz-
ausgleichsrechts muß daher mit dem Inkrafttreten der neuen Reichs-
verfassung als beseitigt angesehen werden. Daß der IV. Senat in
seinem Gutachten im 8. Bd. diese naheliegende staatsrechtliche Frage
nicht einmal in den Kreis der Erörterungen einbezogen hat, erscheint
befremdlich; ebenso erstaunlich ist es, daß der große Senat in seiner
Deduktion Bd. 9 S. 128 auch mit keinem Worte des kurz zuvor er-
gangenen Gutachtens gedenkt, das die Gültigkeit des Normenkomplexes,
den der Senat als aufgehoben ansieht, zur Voraussetzung hat.
5 Vgl. dazu die energische Stellungnahme von PREUSS, Art. 18 der
Reichsverfassung, 1922 S. 31.
ec Hält man dagegen die fraglichen Teile des Zoll.Ver.Vertr. nicht
für echte Bestandteile der a. RV., so könnte ihre Aufhebung zum mindesten
zweifelhaft sein; aus Art. 178 II n. RV. wäre dann die Außerkraftsetzung
nicht herzuleiten, denn die n. RV. steht den Bestimmungen nicht entgegen;
ebensowenig aus $ 1 LStGes., denn der Zoll.Ver.Vertr. wäre dann als eine
„gemäß der (neuen) RV. erlassene reichsrechtliche Vorschrift“ anzusehen.
Allenfalls könnte man sagen, daß die n. RV. und das LStG. den Finanz-
ausgleich erschöpfend neuregeln wollten und somit die vorrevolutionären
Beschränkungen stillschweigend beseitigt hätten.