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von einer Stelle ausgegangen ist, die ein Recht daran hatte, die zur
Anwendung der Verordnung berufene Stelle mit „Anweisungen“ zu
versehen. Ist das der Fall, so muß die Behörde die Verordnung
durchführen, mag sie gegen deren Inhalt noch so starke Bedenken
haben. Diese Folgepflicht der Verwaltungsbehörden wird auch durch
den & 4 AO. nicht eingeschränkt, der vorschreibt, bei der Auslegung
steuerrechtlicher Normen deren Zweck zu beachten; es geht über
den Rahmen auch der weitesten Auslegung hinaus, wenn man einer
eindeutigen und formell gültigen Norm die Anwendung um dessent-
willen versagen wollte, weil sie zweckwidrig sei. — Eine von den er-
wähnten Prüfungsrechten wohl zu unterscheidende Frage ist es aber,
ob nicht die Geltung einer früheren Norm durch eine spätere einge-
schränkt oder aufgehoben sei: Den Verwaltungsbehörden ist nur ver-
boten der Satz „lex maior derogat legi minori“ selbständig zur Anwendung
zu bringen; der Satz „lex posterior derogat legi priori“ hat dagegen für
sie uneingeschränkte Gültigkeit. „Nach diesem Grundsatz sind die Ver-
waltungsbehörden berechtigt und verpflichtet, ältere Gesetzesvorschriften
dann nicht mehr anzuwenden, wenn diese nach ihrer Ueberzeugung (!)
durch spätere außer Kraft gesetzt sind. Dies gilt für die Verwaltungs-
behörden nur dann nicht, wenn Anweisungen vorgesetzter Behörden
eine gegenteilige Stellungnahme erfordern.“ Eine Verletzung dieser
Prüfungspflicht (die von den Verwaltungsbehörden gern mit der für
sie versagten Nachprüfung der Verfassungsmäßigkeit verwechselt wird,
so auch in dem vom RFH. behandelten Fall) macht das Verfahren in
wesentlichen Punkten mangelhaft und muß zur Aufhebung der Vor-
entscheidung führen.
So ablehnend sich der RFH. gegenüber einem echten Prüfungs-
gericht der Verwaltungsbehörden verhält, so entschieden nimmt er es
für sich selbst, wie für richterliche Behörden überhaupt, in An-
spruch. Freilich hat er sich bis jetzt nirgends in eine ausgedehnte Begrün-
dung darüber eingelassen, weswegen er diese Prüfungspflicht entgegen
der z. Z. wohl noch herrschenden Meinung der deutschen Wissenschaft
und Praxis!! für geboten hält. In der für das Ueberprüfungsrecht
ıı Vgl. darüber neuestens TuomA, Das richterliche Prüfungsrecht,
Arch. d. öfl. R.n. F. Bd. 4 S. 267. THoMA sieht auch das soeben erwähnte
Urteil des RFH. Bd. 7 S. 97 ff. als eine Stellungnahme des obersten Steuer-
gerichts für das richterliche Prüfungsrecht an (a. a. O. 8. 269 Anm. 2);
zu Unrecht, denn, wie im Text erwähnt, wird dort nur die Frage ent-
schieden, ob das Goldzollgesetz durch Art. 178 der später (!) erlassenen
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