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bindlichkeit für die Staatsangehörigen und -behörden ergibt sich nicht
ohne weiteres aus seiner völkerrechtlichen Gültigkeit, sondern ist nur
nach Maßgabe des Staatsrechts der einzelnen beteiligten Staaten zu
beurteilen.“ Ich habe die vorstehenden Sätze (die der RFH. nicht
mit Literaturbelegen begründen zu müssen glaubt) wörtlich wieder-
gegeben, weil sie beweisen, wie stark die Ausführungen TRIEPELS?”
über die noch gegen Ende des vorigen Jahrhunderts ganz unge-
klärte Lehre über das Verhältnis von Völkerrecht und Landesrecht die
neue Rechtsprechung beeinflußt haben. Die Entscheidung scheint mir
juristisch einwandfrei zu sein, obwohl das Ergebnis vom Standpunkt
der völkerrechtlichen „Vertragstreue“ des Deutschen Reiches aus kaum
voll befriedigt.
Die bisher behandelten Erkenntnisse des obersten Steuergerichts
betrafen fast sämtlich Fragen, in denen das Finanzrecht unter den gegen-
wärtigen Verhältnissen die Staatsrechtswissenschaft führend zu beein-
flussen berufen erscheint; die Vereinbarkeit zweier Normen miteinander,
auf die es in den bisherigen Untersuchungen in irgendeinem Sinne
stets ankam, ist nirgends von so ausschlaggebender Bedeutung, wie
gerade im Steuerrecht, dessen gesetzliche Grundlage an irgendeiner
Stelle täglich wechselt und in dessen Bereich die verschiedenartigsten
Normen um ihre Anwendbarkeit kämpfen. — Nicht bei jedem Fragen-
komplex des Staatsrechts kann die Rechtsprechung des Reichsfinanz-
hofs die gleiche führende Rolle spielen. Zahlreiche steuerrechtliche
Entscheidungen haben zwar staatsrechtliche Erörterungen (im engeren
Sinn) irgendwie zur Voraussetzung, meistens bedarf es aber dabei nur
eines Besinnens auf bereits feststehende Grundsätze, ohne daß der
Finanzbeamte oder -richter berufen wäre, zu den aufgeworfenen Pro-
blemen selbständig Stellung zu nehmen.
Die Bedeutung der Staatsangehörigkeit ist für das mo-
derne Steuerrecht verblaßt; die mehr von tatsächlichen Merkmalen
ausgehenden Begriffe des Wohnsitzes, Aufenthaltes, der gewerblichen
Niederlassung, der Belegenheit eines Grundstückes im Inland u. ä. sind
in den neueren Gesetzen entscheidend für die persönliche Steuerpflicht
geworden, die früher vor allem nach dem Gesichtspunkt der Staats-
angehörigkeit bestimmt wurde. Trotzdem hat sich der RFH. (nament-
lich in den früheren Bänden seiner Entscheidungen) mehrfach gezwun-
gen gesehen, auch die Zugehörigkeit der steuerlich Inanspruchgenom-
»: TprmpeL, Völkerrecht und Landesrecht 1899; vgl. namentlich S. 115 fi.