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Stellung: Der dortige Beschwerdeführer war am Stichtage unbestritten
Deutscher; er hat mit dem Inkrafttreten der Fr. V. nach Art. 91 Abs. I
die polnische Staatsangehörigkeit ipso iure erworben. Der Senat lehnt
es mit Recht ab, schon vor dem Inkrafttreten des Friedensvertrages
vom Tage seiner Unterzeichnung an eine völkerrechtliche Verpflichtung
Deutschlands zu konstruieren, kein Finanzhoheitsrecht mehr über die
Bewohner der abzutretenden Gebiete auszuüben. Mit der ausdrück-
lichen Vorschrift des Art. 440 sei diese Auffassung nicht vereinbar.
An und für sich sei dagegen Art. 278 auf die steuerrechtlichen
Verpflichtungen der früheren Deutschen anwendbar; „allegeance“,
das „Treu- und Untertanenverhältnis“, schließe begrifflich auch das
Steuerhoheitsrecht in sich. Fasse man jedoch den Inhalt der Bestim-
mung im einzelnen ins Auge, so könne man aus ihr eine Freistel-
lung von der Abgabepflicht nicht herleiten. Der Senat unterscheidet
darin (ziemlich unklar) zwischen Steuerpflicht und Steueranspruch
(S. 182); unter letzterem versteht er augenscheinlich die Durch-
setzung einer schon früher entstandenen Steuerschuld, die
nach $ 812 der kurz vor dem Fr. V. in Kraft getretenen AO. mit
der Verwirklichung des Stenertatbestandes entsteht. Art. 278 Fr. V.
gebiete nun allerdings, „vom Zeitpunkt des Erwerbes der neuen Staats-
angehörigkeit an die alte als durch die neue zerstört anzuerkennen
und auf erstere in Zukunft keine Hoheitsakte mehr zu begründen.“
Die Geltendmachung eines bereits tatbestandsmäßig entstandenen An-
liche Inhalt des Friedensvertrages, ACHENRACHS Steuerbibliothek Bd. 15.
— Mit STRUTZ hat auch der I. Senat des RFH. (in dem bereits besprochenen
Urteil Bd. 4 S. 190) die sehr weitgehende Meinung vertreten, das Wort „alle-
giance“ (allEgeance) in Art. 278 müsse mit nur wenigen Einschränkungen
auch auf jede steuerliche Verpflichtung ausgedehnt werden. — Dieser
Meinung ist vor allem STIER-SOMLO, Die Steuerpflicht der früher deutschen,
jetzt Entente-Staatsangehörigen, Niemeyers Ztschr. f. intern. R. Bd. 29,
entschieden entgegengetreten ; er hat namentlich in Dorn, Jahrb. d. St.R. II
1921 lebhafte Unterstützung seiner einschränkenden und wohl auch
richtigen Auslegung gefunden. In den Uebersichten, die DORN a. a. O.
zu den steuerlichen Bestimmungen des Fr.V. gibt, kann man sich leicht
über diesen (heute nicht mehr unmittelbar praktischen) Streit informieren.
28 Die Anwendbarkeit dieses neuen Grundsatzes der AO. auf den FrV.
leugnet STRUTZ mit m. E. unzutreffenden Gründen. Dagegen (in ausführ-
licher Auseinandersetzung mit STRUTZ) Dorn, Jahrb. d. St.R. II S. 12£., der
mit der vom Ill. Senat der RFH. (im Text) vertretenen Auffassung über-
einstimmt, sie aber besser begründet.