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den ganzen Etat abzulehnen. Allerdings wurde stets von den
Abgeordneten aller Parteien anerkannt, daß der Reichstag nur in
außergewöhnlichen Fällen von diesem Recht Gebrauch machen
dürfe, — so wenn es sich um eine dringende Forderung handle
oder um Wünsche, die vom Reichstag wiederholt ausgesprochen,
von den verbündeten Regierungen aber nie berücksichtigt worden
seien.
Tatsächlich ist es aus diesem Grunde nie zu einem Konflikt
zwischen Reichstag und Regierung gekommen; fast immer wurde
eine Resolution gefaßt, auf Grund deren die Regierung ersucht
wurde, ihrerseits die Erhöhung der betreffenden Posten dem Reichs-
tage vorzuschlagen 1?. Jedoch hat der Reichstag auch manchmal
einseitig Etatspositionen erhöht, und die verbündeten Regierungen
haben nachträglich zu diesen Erhöhungen ihre Zustimmung ge-
geben. So wurden 1879 auf Initiative des Reichstags die Ge-
hälter der Reichsgerichtsräte?', 1897 die der Postassistenten ?',
1913 die der unteren Postbeamten *? erhöht, und der Bundesrat
hat dann später mit der Verabschiedung des Etatgesetzes seine
Zustimmung zu diesen Erhöhungen ausgesprochen. Allein es han-
delt sich in derartigen Fällen stets nur um ganz geringe Beträge.
(1879: 126000 M., 1913: 59500 M.), so daß man von einem
Mißbrauch der Ausgabeinitiative durch den deutschen Reichstag
in keiner Weise sprechen kann.
Daß der Reichstag nicht überhaupt — wie es das englische
Unterhaus getan hat — auf das Ausgabeinitiativrecht verzichten
wollte, erklärt sich wohl hauptsächlich daraus, daß wir bis zum
18 22. 3. 1895 sten. Ber. S. 1660 A, Drucks. Nr. 234; 23. 2. 1897 sten.
Ber. S. 49050; 26. 5. 1897 sten. Ber. S. 6144B, Drucks. Nr. 873; 7. 2. 1898
sten. Ber. S. 887 A, Drucks. Nr. 96; 7. 3. 1902 sten. Ber. S. 4644C, Drucks.
Nr. 489; 18. 3. 1907 sten. Ber. S. 590B, Drucks. Nr. 220 II.
20 24, 3. 1879 sten. Ber. S. 598, Drucks. Nr. 86.
21 96, 5. 1897 sten. Ber. S. 6130D,
ı2 18, 2. 1913 sten. Ber. S. 3885 A, Drucks. Nr. 716.