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der Reiehsrat die Beratung des betreffenden Antrags verschleppt
oder überhaupt nicht Stellung nimmt. POFTZSCH ® schreibt hier-
über: „Da die Zustimmung nur gemäß Art. 74 ersetzt werden
kann, hiernach aber die Vorlage an den Reichstag erst dann zu-
rückgelangt, wenn ein widersprechender Beschluß des Reichsrats
ergangen ist, kann die Zustimmung des Reichsrats nicht dadurch
ersetzt werden, daß der Reichstag, ohne den Beschluß des Reichs-
tags abzuwarten, erneut Stellung nimmt.“
Allein diese Ansicht kann doch nicht der ratio legis ent-
sprechen. Denn auf diese Weise könnte der Reichsrat ja auf
sehr einfache Weise verhindern, daß sein Widerspruch gegen eine
Ausgabenerhöhung durch einen Reichstagsbeschluß mit Zweidrittel-
mehrheit oder durch einen Volksentscheid unwirksam gemacht werde.
Er würde über ihm nicht genehme Ausgabeerhöhungen, die der
Reichstag im Entwurf des Reichshaushaltsgesetzes vorgenommen
hat, einfach nie Beschluß fassen, und der Reichstag wäre gegen
diese passive Resistenz völlig machtlos. Deshalb muß man aus
der Tatsache, daß der Reichsrat während einer angemessenen
Frist nicht zu den Vorschlägen des Reichstags Stellung, ge-
nommen hat, folgern, daß er den Ausgabeerhöhungen seine
Zustimmung nicht erteilt bat, und die Reichsregierung müßte
dann dem Reichstag die strittige Position zur nochmaligen Be-
ratung vorlegen. Als Analogie für die hier vertretene Ansicht
sei auf die Ausführungen von TRIEPEL®® hingewiesen, der bei
Besprechung des Art. 69, wonach die Einbringung von Gesetzes-
vorlagen durch die Reichsregierung der Zustimmung des Reichs-
rats bedarf, ausdrücklich schreibt: „Selbstverständlich hat es der
Reichsrat nicht in der Hand, durch Versehleppung der Beratung
oder durch Verweigerung der Beschlußfassung die Einbringung
eö FW, POETZSCH, RV., 2. Aufl. Berlin 1921, Art. 85 Anm. 6; wie im
Text WALDEOKER a. a. O. S. 30.
°°e H. TRIEPEL, Der Weg der Gesetzgebung nach der neuen Reichsverf.
im „Arch, öff. R.“ 1920, S. 484 Anm. 40.