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obengenannten Gesetze zum Volksentscheid zu bringen, vielmehr
entscheidet er frei darüber, ob dies zu tun sei oder nicht *.
Ein Volksbegehren auf Erlaß eines Finanzgesetzes könnte
also nach dem Wortlaut der Verfassung nur zum Gesetz werden,
wenn der Reichstag das Volksbegehren annimmt und der Reichs-
rat dagegen nicht Einspruch einlegt. Das kann doch aber nicht
der ratio des Volksbegehrens entsprechen. Mit Recht schreibt
TRIEPEL ®° hierüber: „Nun hat aber ein Volksbegehren nach der
ganzen Anlage und nach der geschichtlichen Entwickelung des In-
stituts keinen Sinn, wenn nicht dem Volke schließlich die letzte Ent-
scheidung gegenüber einem Parlamentsbeschlusse zukommt, der
dem aus der Mitte des Volkes gestellten Gesetzesantrage zuwider-
läuft. Man wird also annehmen müssen, daß durch Art. 73, Abs. 4
auch die Volksinitiative in bezug auf Finanzgesetze ausgeschlos-
sen wird.“
Für die Richtigkeit der hier vertretenen Ansicht spricht auch
die Entstehungsgeschichte des Art. 73. Die Einrichtung des Volks-
begehrens spielte im Preußschen Entwurf ($$ 51, 60) und auch
in der Regierungsvorlage (Art. 26 Abs. 3) nur eine sehr unter-
geordnete Rolle. Der Ausbau dieser Bestimmungen — so vor
allem die Einführung der Volksinitiative — erfolgte erst im Ver-
fassungsausschuß. Der dort gestellte Antrag Keil und Genossen ®!
erklärte ein Volksbegehren in bezug auf das Reichshaushaltsgesetz
für unzulässig. Dasselbe tat der Antrag Ablaß und Genossen,
an den sich der jetzige Art. 73 am nächsten anlehnt®2.
°® Ebensowenig kann der Reichspräsident genötigt werden, einen Volks-
entscheid über einen Reichstagsbeschluß anzuordnen, der ein Volksbegehren
auf Erlaß eines Finanzgesetzes abgelehnt oder nur mit Aenderungen ange-
nommen hat (Art. 73, Abs. 3, RV.).
80 'TRIEPEL a. a. O., S. 495; ebenso AnscHÜTz RV. Art. 73, Anm. 9;
GIESE Art. 73, Anm. 18; MEISSNER, RV., Berlin 1919, S. 102; PoETzscH,
RV., Art. 73, Anm. 11; SÄnGeErR, RV. Berlin 1920, Anm. zu Art. 85.
8 Drucksachen des VA. Nr. 181.
8 Drucksachen des VA. Nr. 169.