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Schließlich fragt sich noch, ob die Selbstbeschränkungen hin-
sichtlich der Ausgabeinitiative, die sich die meisten verfassung-
gebenden Versammlungen im Reiche und in den Ländern auferlegt
haben, mit dem demokratischen Charakter unserer Verfassungen
zu vereinigen sind.
Diese Frage ist zu bejahen 1%. Denn wesentlich für den demo-
kratischen Charakter einer Verfassung ist nicht die Tatsache, daß
sämtliche Staatsfunktionen von der Volksvertretung oder gar von
der Versammlung des gesamten Volks wahrgenommen werden,
wesentlich hierfür ist vielmehr, daß der Grundsatz der Volks-
souveränität und der Gedanke der völligen politischen Gleich-
wertigkeit sämtlicher Staatsbürger gewahrt wird. Dagegen ist es
unwesentlich, wie der technische Ausbau der Verfassung im ein-
zelnen gestaltet ist. Modifizierungen der verschiedensten Art wider-
sprechen dem Begriff der Demokratie nicht, vor allem tun das
solche nicht, die eine Ausartung der Demokratie vermeiden sollen.
In Bayern ($ 77), Mecklenburg-Schwerin ($ 46), Oldenburg (8 65 Abs. 2),
Preußen (Art. 6 Abs. 3) und Thüringen ($ 26) unterliegen der Haushalts-
plan, Abgabengesetze und Besoldungsordnungen, in Württemberg ($ 45)
Abgabengesetze und das Staatshaushaltsgesetz, in Hessen (Art. 14) das
Finanzgesetz und der Staatsvoranschlag, in Baden das Finanzgesetz ($ 23)
nicht der Volksabstimmung. Ueber Abgabengesetze kann in Baden nur
das Staatsministerium ($ 23), über Steuer- und Besoldungsgesetze in Hessen
(Art. 14) nur das Gesamtministerium einen Volksentscheid beschließen.
In Bremen ($ 4 Abs. 2) darf ein Volksentscheid über Einzelheiten des
Haushaltsplans oder einer Besoldungsordnung überhaupt nicht stattfinden;
hinsichtlich des Haushaltsplans oder einer Besoldungsordnung als Ganzes,
sowie bei Gesetzen über Steuern, Abgaben und Gebühren ist ein Volks-
entscheid in Bremen nur zulässig, um den Einspruch des Senats zu be-
seitigen. In Lippe (Art. 20, Abs. 8) unterliegen der Landkassenvoranschlag,
Abgabengesetze und Besoldungsordnungen dem Volksentscheid nur auf
einstimmigen Beschluß des Landespräsidiums.
102 Vgl. zum folgenden G. LEIBHOLZ, FICHTE und der demokratische
Gedanke, Freiburg 1921, S. 7 f£.; vgl. ferner über den Unterschied von
„Radikaldemokratie“ und „Demokratismus liberaler Prägung“ R. THoMA
im Arch. £. öff. R., Bd. 40, S. 238 ff.