100 Drittes Buch. Die Organisation des Deutschen Reiches.
lich durch die Verfassung des Deutschen Reiches — gewachsen. Waren es im An-
fang fast nur gesetzgeberische Funktionen und nur ausnahmeweise Antheilnahme
an der Execution und der Regierungsgewalt überhaupt, so steht heute — abgesehen
von der Vertretung des Reiches nach außen, dem Militär-, Post= und Telegraphen-
wesen — dem Bundesrath neben der gesetzgebenden Gewalt die voll-
ziehende Gewalt, insbesondere die Befugniß zu, Ausführungsverordnungen zu
erkassen. Wenn der Bundesrath ursprünglich mehr eine Beschränkung der Präfddial-
gewalt darstellte — etwa wie ein Oberhaus die Gewalt des Monarchen ein-
schränkt —, so vertritt heute der Bundesrath regelmäßig die deutschen Souveräne
und die Souveränetät im Reiche. .
Bei der fundamentalen Bedeutung dieser Fragen für das deutsche Reichsrecht
mag es auch dieser Darstellung zunächst gestattet sein, die darauf bezüglichen Er-
klärungen der Regierungs= und Volksvertreter, indessen vollständiger, als dies sonst
geschieht, im Auszuge mitzutheilen.
von Gerber am 9. März 1867 (Sten. Ber. des verfassungberathenden nord-
deutschen Reichstages 1867, S. 118):
„Man könnte meinen, derselbe (der Bundesrath) schwanke zwischen der
Stellung eines Staatenhauses, zwischen einer diplomatischen Vertretung der
einzelnen Bundesglieder und vielleicht noch einer anderen Funktion, die einem
solchen Kollegium überwiesen sein mag.“
v. Sybel am 23. März 1867 (ebendort S. 325):
„Wir stehen offenbar an dem wichtigsten und charakteristischsten Theil
unserer Arbeit. Nachdem wir die allgemeine Competenz der künftigen Bundes-
gewalt umzeichnet haben, steht nun die Aufgabe vor uns, Beschlüsse zu
sassen über die Organisation dieser Bundesgewalt, vielleicht das
schwerste Problem, welches im Laufe dieses Jahrhunderts irgend einem
Staatsmann sich entgegengestellt hat: die Bildung einer lebenskräftigen
Centralgewalt für Deutschland, stark genug, um alle Culturausgaben des
modernen Staates wirksam und schöpferisch in die Hand zu nehmen, und
doch so weit beschränkt, um den deutschen Fürsten und Partikularstaaten
nicht das Gefühl der vollständigen Unterwerfung und Mediati-
sirung zu geben, und doch so weit abhängig von der parlamentarischen
Organisation, um das politische Gewissen der gesammten Nation nicht zu
verletzen; — eine Aufgabe, schwierig wie irgend eine; — — — Hier vor
uns ist sie nun in ihrem ganzen doppelten Umfange gegeben, die Versöhnung
Selbstständigkeit mit starker Centralgewalt, die Versöhnung
Regierung mit starker populärer Freiheit. Ich glaube, es ist
ant und in keiner Weise zeitraubend, die leitenden Grundsätze, nach
welchen der jetzige Versuch die Organisirung der Reichsgewalt in Angriff
nimmt, mit den früheren Versuchen dieser Art zu vergleichen — — — Im
Jahre 1848 machte man den Versuch, eine Reichsgewalt in Form der con-
stitutionellen Monarchie zu beschaffen, der constitutionellen Monarchie mit
dem möglichst vollständigen Apparat, mit einem constitutionellen Monarchen
und zwei Kammern — — —, mit einem Bundesgericht, mit Grundrechten
und mit verantwortlichen Ministern, mit einem Wort: von dem ganzen
Apparate der constitutionellen Monarchie fehlte nicht ein Stück. Leider
hatte man im Interesse der Freiheit das starke Regiment gekürzt und trotz
des glänzenden Kaisertitels den König von Preußen vor allem durch das
suspenfive Veto in der Gesetzgebung abgeschreckt. Leider war für die übrigen
Fürsten auf der Welt keine Stätte mehr in der Verfassung, die ihnen auf
dem Boden der Reichsgewalt einen höchst mäßigen Antheil an dem
Staatenhause überließ und durch die Grundrechte und das Bundesgericht
ihre particulare Souveränetät im Grunde auf Null reducirte. — In Erfurt
suchte man auf dem in Frankfurt bezeichneten Boden zwar zu verharren,
aber die dort gemachten Fehler zu verbessern, oder, wenn Sie lieber wollen,
zu flicken. Man verzichtete auf den Kaisertitel, führte aber das Veto des
Bündeshauptes ein; man gab den Fürsten der Mittel= und Kleinstaaten