Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches.

18. Zuständigkeit des Bundesrathes. 101 
einen sehr stattlichen Antheil an der Executive und Legislative durch 
Schöpfung des Fürstenrathes, man reducirte die Grundrechte auf das 
bescheidene Maß der Preußischen Verfassung; aber unter allen diesen Modi- 
sicationen blieb man doch in den Grundformen der constitutionellen 
Monarchie, und wurden diese Grundformen einmal festgehalten, so wären 
die deutschen Fürsten trotz aller reichen ihnen zugemessenen Rechte mit Ein- 
führung dieser Verfassung zu Unterthanen der neuen Bundesgewalt, Unter- 
thanen des Bundeschefs geworden. Da nun zugleich der neue Bundeschef 
immer noch etwas zu viel Radicalismus in der proponirten Verfassung 
vorfand, so hatte auch dieser Versuch keinen besseren Erfolg, und als 
Oesterreich ernstlich drohte, so kehrten alle Theile, wenn auch schmollend, so 
doch schließlich behaglich wieder in die alten Wohnsitze des Bundestages 
zurück. — Der jetzige Entwurf hat, wenn ich ihn richtig beurtheile, durch 
diese Erfahrungen belehrt, die viel betretenen Straßen vollständig verlassen. 
Das uns hier proponirte Schema einer Bundes= oder Reichsgewalt ist alles 
Andere, nur nicht eine constitutionelle Monarchie. Es ist auch nicht der 
Bundesstaat nach der überlieferten Theorie, nach der auf den Universitäten 
ausgebildeten Theorie. — — Ein solcher Bundesstaat ist dieser Entwurf 
vom ersten bis zum letzten Worte nicht, so wenig, wie er eine constitutionelle 
Monarchie zu schaffen beabsichtigt. In der That, es ist unverkennbar, die 
Urheber dieses Entwurfes haben einen dem in Deutschland gewohnten Wege 
völlig entgegengesetzten eingeschlagen, sie haben nicht ein noch so vortreff- 
liches Hand= und Lehrbuch der Politik genommen, sie haben nicht aus 
diesem Lehrbuche das Sparrwerk des formalen constitutionellen Staats- 
wesens zu Papier gebracht, sie haben dann nicht diesen Fächern zu Liebe 
die im Lande vorhandenen realen Kräfte zerschnitten und herausgeschnitten, 
sondern umgekehrt, sie haben in dem Chaos der vorjährigen deutschen Zu- 
stände die existirenden realen Kräfte aufgesucht, sie haben nach deren Zahl 
und Maß gesetzliche Formen zu schaffen gestrebt; nach Zahl und Maß der 
vorhandenen realen Kräfte haben sie einen gesetzlichen Boden bemessen, haben 
sie gesetzliche Organe herauszubilden gesucht, haben sie die allgemeine 
Richtung für Competenz und Wirksamkeit dieser Organe definirt. Die 
Kräfte waren, wie jeder weiß, hier das starke und siegreiche 
Preußen in seiner damaligen Stellung, nach seiner großen Vergangenheit, 
noch vielmehr nach seiner gewaltigen Zukunft — in der europäischen Lage 
des Augenblicks beinahe mit Nothwendigkeit auf eine hier und da dictatorische 
Machtansammlung angewiesen. Dann auf der anderen Seite die deutschen 
Partikularstaaten, die allerdings in dem Kriege gegen Preußen keine 
Lorbeern geerntet, die, wo fie mit Preußen verbunden gewesen, gerade durch 
dieses Verhältniß, durch den Riesenwuchs preußischer Macht tief in den 
Schatten gestellt gewesen waren, die aber trotz dieses Verhältnisses eine 
zähere innere Lebenskraft documentirten, die sich zum Theil eines sehr starken 
auswärtigen Schutzes erfreuten, und die — was schwerer wog — trotz aller 
unitarischen Bestrebungen der gebildeten Klassen höchst reale Sympathieen 
in dem heimischen Boden, in der heimischen Bevölkerung besaßen. Und 
endlich dann die liberale öffentliche Meinung in Preußen, in 
Deutschland, in Europa. — — — — — Mit diesen Kräften also war zu 
rechnen; mit den militärischen Forderungen des preußischen Großstaates, mit 
den populären Berechtigungen des Particularismus, mit der Wucht der 
öffentlichen Meinung. Der Entwurf nun giebt, wie er hier in unseren 
Händen liegt, einer jeden dieser Kräfte ein Organ: der Krone Preußen 
das Bundespräsidium, den kleinen Staaten den Bundes- 
rath, der öffentlichen Meinung den Reichstag; er stattet diese 
Organe zum Theil mit reichen, zum Theil mit etwas schmäler bemessenen 
Befugnissen aus: den Löwenantheil erhält nach der Natur der 
Sache die Krone Preußenz; eine sehr anständige, in mancher Beziehung 
bedenklich weit geschnittene Competenz erhalten die Partikularstaaten, am
	        
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