Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches.

§ 18. Zuständigkeit des Bundesrathes. 109 
(Zoll= Finanzbehörde nicht erzielt, so suchen Reichskanzler (Reichsschatzamt) und 
Landesfinanzminister sich zu verständigen. Gelingt eine solche Verständigung nicht, 
so entscheidet — nicht mehr die Generalconferenz der Bevollmächtigten, sondern — 
der Bundesrath. Diese Entscheidung ist endgültig, ihr haben sich 
alle Staaten zu fügen. Ihre Befolgung kann im Wege der Reichs-(Bundes-) 
Execution erzwungen werden. Die Verfassung des Deutschen Reiches giebt nun ein 
solches Recht, über Mängel u. s. w. zu entscheiden, dem Bundesrath nicht bloß bei 
den Zoll= und Steuergesetzen, sondern allgemein bei Reichsgesetzen und den zur Aus- 
führung der Reichsgesetze erforderlichen oder ergangenen allgemeinen Verwaltungs- 
vorschriften und Einrichtungen. Reichsgesetze in diesem Sinne find auch die Ver- 
fassung, sowohl des Deutschen Reiches wie des Norddeutschen Bundes, die Gesetze 
nicht bloß des Deutschen Reiches, sondern auch des Norddeutschen Bundes und des 
Zollvereins (vgl. Seydel, Comm., S. 144, Hänel, Staatsrecht, S. 281, Arndt, 
Verordnungsrecht, S. 90). Wenn also Zweifel darüber herrschen, wie ein Bundes- 
oder ein Zollvereins= oder ein Reichsgesetz, oder die Bundes= oder die Reichs- 
verfassung zu handhaben, oder ob eine zur Ausführung derselben erlassene sogenannte 
Verwaltungsvorschrift oder getroffene Einrichtung gültig, oder wie sie auszulegen 
und anzuwenden sei, oder ob eine Landesregierung zum Erlasse einer Ausführungs- 
verordnung befugt war, so entscheidet der Bundesrath in oberster Instanz. Der 
Bundesrath hat kein imperium über die Einzelstaaten in dem Sinne, daß seine 
die Handhabung eines Reichsgesetzes durch einen Staat mißbilligende Entscheidung 
ohne Weiteres vollstreckkar ist. Es wird angenommen, daß sich jeder Staat nach 
dem Beschlusse des Bundesrathes richtet; geschieht dies nicht, so kann der Bundes- 
rath gemäß Artikel 19 der Reichsverfassung die Bundesexecution beschließen, welche 
der Kaiser zu vollstrecken hat. Wenn gerichtliche Entscheidungen, z. B. des 
Reichsgerichts, Bundesamts für das Heimathwesen, Reichsversicherungsamts über 
die Handhabung und Auslegung der Reichsgesetze, sowie über die Statthaftigkeit 
allgemeiner Verwaltungsvorschriften auf den der Rechtsprechung unterstellten Ge- 
bieten ergangen find, wird der Bundesrath sich dieser Befugniß enthalten, weil 
und soweit die Gerichte nur dem Gesetze unterworfen sind und mithin Anweisungen des 
Bundesrathes nicht Folge leisten dürfen; vgl. hierzu Arndt, Verordnungsrecht, 
S. 211 ff., und § 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes. Ebenso wenig ist der Bundes- 
rath befugt, authentische Interpretationen bei Reichsgesetzen zu erlassen; eine 
solche Befugniß steht ausschließlich dem Reichsgesetzgeber zu. Die in Artikel 7, 
Ziff. 3 der Reichsverfassung aufgeführte Befugniß des Bundesrathes kommt auch in Weg- 
fall, wenn und soweit die Verfassung oder ein anderes Reichsgesetz die letzte Ent- 
scheidung über derartige Mängel dem Kaiser überträgt. Wenn daher Artikel 63, 
Abs. 3 der Reichsverfassung dem Kaiser das Recht und die Pflicht giebt, dafür 
Sorge zu tragen, daß alle deutschen Truppentheile vollzählig und kriegstüchtig vor- 
handen find u. f. w., und den Kaiser berechtigt, die Abstellung der bei Inspectionen 
vorgefundenen Mängel anzuordnen, so ist dadurch die Befugniß des Bundesrathes, 
über solche Mängel zu entscheiden, als ausgeschlossen zu betrachten. 
Es ist endlich zu beachten, daß der Bundesrath nicht das Recht hat, seine 
Beschlüsse unmittelbar zu vollstrecken, und daß er, wenn ein Staat sich seinem 
Beschlusse nicht unterwirft, das Präsidium um Vollstreckung der Execution er- 
suchen muß. Dies ist auch der Sinn der Bemerkung, welche der Abgeordnete 
Dr. Lasker am 7. December 1870 im Reichstage, Sten. Ber., II. außerordentl. 
Session, S. 122, machte: 
„Den zweiten Theil, welcher die Abhülfe der Mängel dem Bundesrath 
überweist, verstehe ich dahin, daß die thatsächliche Exekution allein durch 
das Bundeskanzleramt vermittelt wird, daß der Bundesrath irgend welche 
Mängel als vorhanden konstatirt und Abhülfe beschließt, und daß diese 
dann durch die Beamten des Bundeskanzleramts oder durch das Bundes- 
kanzleramt unter der Leitung des Bundeskanzlers erfolgen muß.“ 
Die Stellung des Bundesrathes als obersters Gericht im Reiche findet ihren 
Ausdruck in Artikel 19 der Reichsverfassung. Bereits die Verfassung des ehemaligen 
Deutschen Bundes — Wiener Schlußacte, Artikel 12 (oben S. 8) — verpflichtete
	        
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