Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches.

6 19. Der Reichstag. 119 
berechtigte kann seine Aufnahme verlangen. Die Stimme des Nichtwahlberechtigten 
ist ungültig, auch wenn er in die Wählerliste eingetragen war. Das Wahlrecht 
kann nicht durch Stellvertreter ausgeübt werden. Es muß in Person am Wahltage 
innerhalb der vorgeschriebenen Zeit und an der vorgeschriebenen Stelle geltend ge- 
macht werden. Rechtsgeschäfte über die Ausübung und die Art der Ausübung des 
Wahlrechts find nichtig (vgl. auch Strafgesetzbuch § 109). Der Wahlberechtigte 
hat kein einklagbares Recht gegen den, in dessen Dienst er steht, auf Gewährung 
von Zeit und Gelegenheit, um sein Wahlrecht auszuüben. Noch weniger kann der 
in Hast Befindliche verlangen, daß er zum Wahllokal transportirt oder auch nur 
zur Wahl beurlaubt wird. Nur eine Besfugniß gewährt das Wahlgesetz den 
Wahlberechtigten, nämlich folgende: Sie haben das Recht (Wahlgesetz § 17), zum 
Betrieb der den Reichstag betreffenden Wahlangelegenheiten Vereine zu bilden und 
in geschlossenen Räumen unbewaffnet öffentliche Versammlungen zu veranstalten. 
Dies Recht ist nicht allgemein, sondern nur in Beziehung auf eine bestimmte, concret 
anstehende Wahl gegeben, gilt also nur, wenn eine Wahl wirklich ausgeschrieben 
ist. Es ist nur Wahlberechtigten gegeben. Vereine, in denen nicht wahl- 
berechtigte Mitglieder vorhanden find, haben sonach dieses Recht nicht. „Die Be- 
stimmungen der Landesgesetze“ — so schreibt Absatz 2 in § 17 des Wahlgesetzes 
vor — „über die Anzeige der Versammlungen und Vereine, sowie über die Ueber- 
wachung derselben, bleiben unberührt.“ Anderweitige Beschränkungen und Verbote 
find gegenüber Wahlvereinen somit unzulässig, z. B. das Verbot, mit anderen Vereinen 
in Verbindung zu treten, z. B. § 8 b) der preußischen Verordnung über die Ver- 
hütung eines die gesetzliche Freiheit und Ordnung gefährdenden Mißbrauchs des 
Versammlungs= und Vereinigungsrechtes vom 11. März 1850 (G.-S. 1850, S. 277). 
§ 17 des Wahlgesetzes hat indeß nur die politische Seite, nicht die allgemeine 
Sicherheitspolizei im Auge. Trotz des § 17 müssen Versammlungen verboten 
oder beschränkt oder geschlossen werden z. B. wegen ansteckender Epidemien oder 
lebensgefährlicher Ueberfüllung; vgl. hierzu Arndt, in Hirth's Annalen 1886, 
S. 314, ferner die Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts vom 26. September 
1876, 26. Februar 1880, 11. October 1889 und 3. December 1887, Entsch. 
Bd. 1, S. 347, Bd. VI, S. 382 und Bd. XVI, S. 387. Was in den Wahl- 
vereinen oder Wahlversammlungen gesagt oder gethan wird, unterliegt den all. 
gemeinen Strafgesetzen, Erk. des Oberverwaltungsgerichts vom 9. Juli 1892, Entsch. 
Bd. XXIII, S. 399. Was landesgesetzlich über die Anzeige von Vereinen oder 
Versammlungen bestimmt ist (preußische Verordnung vom 11. März 1850, 88 1 
und 2), gilt auch für Wahlvereine, ebenso was dort über die Ueberwachung der 
Versammlung durch Polizeibeamte oder andere Abgeordnete vorgeschrieben ist (§ 4 
der gen. Verordnung). Aus dem Rechte der Ueberwachung kann nicht gefolgert 
werden, daß nur in einer solchen Sprache geredet werden darf, welche den über- 
wachenden Organen verständlich ist (Erk. des Oberverwaltungsgerichts vom 26. Sep- 
tember 1876, Entsch. Bd. I, S. 397). Es müssen andere Momente hinzutreten, 
z. B. die Annahme, daß in der Versammlung Anträge oder Vorschläge erörtert 
werden, die eine Aufforderung oder Anreizung zu strafbaren Handlungen enthalten, 
um wegen nicht genügender Kenntniß der Reden eine Versammlung zu schließen. 
Die Befugniß der Abgeordneten der Polizeibehörde (§ 5 der preuß. Verordnung 
vom 11. März 1850), vorbehaltlich des gegen die Betheiligten einzuleitenden 
Strafverfahrens, sofort jede Versammlung aufzulösen, bezüglich deren die Be- 
scheinigung der erfolgten Anmeldung nicht vorgelegt werden kann, oder wenn in 
der Versammlung zu strafbaren Handlungen aufgefordert oder angereizt wird, oder 
wenn in der Versammlung Bewaffnete erscheinen, die auf Aufforderung nicht ent- 
sernt werden, ist durch § 17 des Wahlgesetzes nicht aufsgehoben. Ebenso gelten 
auch gegenüber Wahlvereinen die Vorschriften, daß Versammlungen innerhalb ge- 
wisser Frist nach der in der Anmeldung angegebenen Frist beginnen müssen (§ 1, 
Abs. 2 der Verordnung vom 11. März 1850); wie viel Abgeordnete der Polizei 
in eine Versammlung entsendet werden dürfen, wie diese sich erkennbar zu machen 
haben, welcher Platz und welche Auskunft ihnen zu ertheilen ist (§ 4 das.) und 
daß, sobald das Polizeiorgan die Versammlung für aufgelöst erklärt hat, alle
	        
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