l 21. Die Zuständigkeit des deutschen Reichstages. 145
vom 13. November 1884 auf die Strecken zwischen dem Wohnorte und Berlin
eingeschränkt; vgl. Sten. Ber. des Reichstages 1884/85, S. 17 ff., 484 ff.
Es ist bestritten, ob dies in Einklang mit Art. 32 der Reichsverfassung zu
bringen ist (vgl. Verhandl. des Reichstages vom 13. und 16. Februar 1874,
S. 35 f., 60 ff., 74 und Laband, Reichsstaatsrecht, I. S. 320, Anm. 2); in-
dessen mit Unrecht, da darin weder eine „Besoldung"“, noch eine „Ent-
schädigung“ für die Thätigkeit der Reichstagsmitglieder liegt (Delbrück, 1. c.
S. 61). Da ferner die „Freifahrt“ nicht auf Gesetz beruhte, indem nur die
Kosten dafür durch Gesetz (vom Reichstage) bewilligt waren, so konnte die Ein-
schränkung der Freifahrt durch den Bundesrath rechtswirksam erfolgen; ebenso
Seydel, Comm., S. 217.
8 21. Die Zuständigkeit des deutschen Reichstages.
1) Gesetzgebung.
1) Alle constitutionellen Verfassungen beruhen auf dem Gedanken, daß gewisse
für die Unterthanen besonders wichtige Gegenstände, wie z. B. das bürgerliche und
das Strafrecht, die Steuern, die Militärlasten, die Aufnahme von Staatsanleihen,
die Regelung des Staatshaushaltes nicht mehr allein von der Krone, sondern nur
noch unter Zustimmung der verfassungsmäßigen Volksvertretung festgesetzt werden
sollen. Dasjenige, was durch Uebereinstimmung zwischen Staatsoberhaupt und
Volksvertretung in solenner Form festgesetzt und verkündet ist, heißt Gesetz!. Die
Stelle der Volksvertretung hat im Deutschen Reiche der deutsche Reichstag. Es ist
daher nicht auffällig, wenn die Reichsverfassung vorschreibt, daß die Reichgesetz-
gebung durch den Bundesrath und den Reichstag ausgeübt wird (Art. 5), daß der
Reichshaushalts-Etat durch ein Gesetz festgestellt werden soll (Art. 69), oder daß
die Aufnahme einer Anleihe, sowie die Ueberwachung einer Garantie zu Lasten des
Reichs im Wege der Reichsgesetzgebung erfolgen soll (Art. 73), daß Ausgaben nur
auf Grund Gesetzes gemacht werden dürfen (Art. 71 in Verbindung mit Art. 69),
oder daß die Friedens-Präsenzstärke des Heeres im Wege der Reichsgesetzgebung
festgestellt werden soll (Art. 60). Das Charakteristische der Reichsverfassung ist die
Vorschrift in Art. 78, Satz 1: „Veränderungen der Verfassung erfolgen im Wege
der Gesetzgebung.“ Diese letztere Vorschrift bedeutet, daß Alles, worin Bundesrath
und Reichstag übereinstimmen, mag der Gegenstand bereits innerhalb oder noch
außerhalb der Zuständigkeit der Reichsgesetzgebung liegen, geltende Norm im Deutschen
Reiche wird, sobald die Uebereinstimmung in der Form eines verfassungsändernden
Reichsgesetzes zu Stande gekommen und veröffentlicht ist.
Hiernach kann ohne die Zustimmung des Reichstages kein Reichsgesetz beschlossen
oder verändert werden. Mit der Zustimmung des Reichstages kann die Verfassung
abgeändert und die Zuständigkeit des Reiches auf jedes beliebige Gebiet ausgedehnt
werden. Die Hauptzuständigkeit des Reichstages liegt somit auf em Gebiete der
Reichsgesetzgebung und also auch auf dem der Verfassungsänderung und der
Zuständigkeitserweiterung. Die Mitwirkung des Reichstages bei Feststellung des
Reichshaushaltsetats oder bei Aufnahme von Anleihen, oder! bei Verwendung von
Kriegsentschädigungsgeldern find Folgen dieser Zuständigkeit.
2) Initiative.
2) Der Reichstag hat ferner das Recht der Gesetzes-Initiative. Art. 28
der Reichsverfassung bestimmt: „Der Reichstag hat das Recht, innerhalb der
Kompetenz des Reichs Gesetze vorzuschlagen...“ Da nach Satz 1 in Art. 78 Ver-
safsungsänderungen und Zuständigkeitserweiterungen im Wege der Reichsgesetz-
1 Was Laband, 1, S. 262 als etwas ganz Besonderes anzusehen scheint.
Arudt, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. 10