148 Drittes Buch. Die Organisation des Deutschen Reiches.
Thatsachen zu ernennen.“ Ueber die Auslegung dieser Vorschrift besteht Streit,
ebenso zwischen der Staatsregierung und der Mehrheit des Abgeordnetenhauses wie
innerhalb der Theorie. Unstreitig ist (Arndt, Komm. zur Preuß. Verf., S. 139 f.,
Schwartz, Comm., S. 289 ff.), daß nicht das Plenum sich als Untersuchungs-
kommission constituiren und daß jede Kammer für sich solche Kommissionen ein-
setzen kann. Streitig ist, ob jede Kammer ganz im Allgemeinen eine solche Be-
fugniß habe, irgend welche Maßnahmen der Staatsregierung oder gar das System
der Staatsverwaltung im Ganzen einer Untersuchung zu unterwerfen und zu diesem
Behufe eine Kommission zu ernennen, wie z. B. Schwartz, I. c., v. Rönne,
Preuß. Staatsrecht, 4. Aufl., I, S. 296, und Schulze, I, § 163, behaupten,
oder ob die Anwendung des Art. 82 voraussetze, daß das Haus mit dem be-
treffenden Gegenstande bereits, sei es aus Anlaß einer Regierungsvorlage, sei es
durch einen ihm zur Berathung oder Beschlußfassung vorliegenden Antrag, befaßt
sei und in Bezug auf einen solchen speciellen Gegenstand für erforderlich erachte,
vor seiner Entscheidung sich zuvörderst durch Aufklärung von Thatsachen Information
zu verschaffen, wie dies die preußische Staatsregierung behauptet (s. auch Arndt,
Komm. zur Preuß. Verf., S. 140, Anlagen zu Sten. Ber. des Abgeordnetenhauses
1863/644, Bd. IV, S. 550 f.). Streitig ist ferner, ob eine solche Kommission ohne
Weiteres selbst Zeugen oder Sachverständige vernehmen kann, oder ob fie dazu erft
die Staatsregierung requiriren muß. Indessen geben auch diejenigen, welche in
Art. 82 eine specielle Ausnahme von dem allgemeinen Grundsatze in Art. 45 der
Preuß. Verfassung, daß die vollziehende Gewalt der Krone zustehe, erblicken, un-
umwunden zu (z. B. Schwartz, S. 242), daß eine solche Kommission weder
Jemanden zum Erscheinen vor ihr zwingen, noch eidlich vernehmen kann.
Bei Berathung des jetzigen Art. 28 im verfassungsberathenden Reichstage be-
antragte Ausfeld (Drucksachen Nr. 26) hinzuzusetzen: — „das Recht der Er-
hebung von Thatsachen“, und Lasker (Drucksachen Nr. 17): „Thatsachen durch
Vernehmung von Zeugen, Sachverständigen und anderen Auskunftspersonen zu er-
heben und in gleicher Weise Kommissionen mit der Erhebung von Thatsachen zu
beauftragen.“ Diese Anträge wurden abgelehnt (Sten. Ber. S. 448 und 705).
Seydel, Comm., S. 203, folgert hieraus, daß der Reichstag das Recht der
Untersuchung von Thatsachen — enquste — nicht habe, daß es indessen dem
Reichstage nicht untersagt sei, Auskunftspersonen oder Sachverständige mündlich
oder schriftlich zu vernehmen, er könne nur Niemanden zwingen, sich vernehmen zu
lassen. Dies muß bestritten werden, um so mehr, weil nicht einmal das preußische
Abgeordnetenhaus trotz der Vorschrift in Art. 82 der Preuß. Verfassung ein solches
Recht besitzt. Es muß vielmehr angenommen werden, daß der Reichstag, wenn er
z. B., um über die Gültigkeit einer Wahl beschließen zu können, Erhebungen für
nothwendig erachtet, er um deren Vornahme oder Veranlassung die Reichsregierung
ersuchen muß. Auch kann der Reichstag keine Untersuchungskommissionen mit dem
Recht einfetzen, Personen selbst zu vernehmen oder durch Vermittelung der Reichs-
regierung und der zuständigen Behörde vernehmen zu lassen.
6) Präsidium, Geschäftsordnung und Disciplin.
Art. 27, Satz 2 der Reichsverfassung schreibt vor:
„Er (der Reichstag) regelt seinen Geschäftsgang und seine Disziplin
durch eine Geschäfts-Ordnung und erwählt seinen Präsidenten, seine Vize-
präsidenten und Schriftführer.“"
Hiermit ist zunächst ausgesprochen, daß der Erlaß und der Inhalt der Ge-
schästsordnung allein vom Willen des Reichstages abhängen oder, genauer gesagt,
daß zum Erlasse der Geschäftsordnung für den Reichstag nicht die Zustimmung
des Bundesraths nothwendig ist 1. Sodann ist in der Verfassung die Vorschrift
1 In nicht wenigen deutschen Staaten erfolgt stage nicht bloß durch diese, sondern durch Gesetz.
der Erlaß der Geschäftsordnungen für die Lank. Si haben "o., die. von Gesetzen 4r