84. Die Thätigkeit des Dentschen Bundes u. die Errichtung des deutschen Zollvereins. 11
Standesherrschaft ihnen zufallen. Sie sollen Privilegien für sich und ihre Familien-
angehörigen in Ansehung der streitigen und nicht streitigen Gerichtsbarkeit genießen,
ihnen bleibt in ihren standesherrlichen Bezirken „die Benutzung jeder Art der
Jagd= und Fischereigerechtigkeit, der Bergwerke — soweit sie ihnen bereits zusteht“:;
sie haben eigene standesherrliche Gerichtsbarkeit, Execution von den Landespolizei-
behörden, die Kirchen= und Schulaufsicht. Gleiche oder doch im Wesentlichen
gleiche Bestimmungen galten auch in anderen deutschen Bundesstaaten; so für Bayern
schon auf der Grundlage der Rheinbundacte die königl. Declaration vom 19. März
1802, ferner die königl. Declaration vom 18. Juni 1816 1. Den reichsunmittel-
baren, nicht reichsständischen Familien sicherte der Artikel XIV der Bundesacte zu
die Freiheit des Aufenthalts, Autonomie, Landstandschaft, Patrimonial- und Forst-
gerichtsbarkeit, Ortspolizei, Kirchenpatronat und den privilegirten Gerichtsstand.
Da das Bundesrecht durch das Recht der einzelnen Bundesstaaten nicht ab-
geändert werden konnte, so muß behauptet werden, daß die durch den Deutschen
Bund den vormals Reichsunmittelbaren zugeficherten Rechte nicht durch Landesrecht,
auch nicht durch Verfass ungsvorschriften in den einzelnen Bundesstaaten, z. B.
Artikel 4 der preußischen Verfassungs-Urkunde: „Alle Preußen find vor dem Gesetze
gleich. Standesvorrechte fünden nicht statt“, rechtswirksam abgeändert oder aufgehoben
werden konnten. Die Befugniß, diese Rechte aufzuheben oder abzuändern, haben die
deutschen Bundesstaaten durch die Auflösung des Deutschen Bundes und erst durch diese
erlangt :r. Die Standesherren ihrerseits hatten ein vertragsmäßiges Recht auf die
Erfüllung der in der Bundesacte gewährleisteten Rechte nie besessen. Dieses Recht
stand nur den übrigen Mitgliedern des Deutschen Bundes und den Congreßmächten zu ?.
&s# 4. Die Thätigkeit des Dentschen Bundes und die Errichtung
des deutschen Zollvereins.
Die Thätigkeit des Deutschen Bundes befriedigte die Zeitgenossen wenig. Ins-
besondere erregten seine Beschlüsse über Unterdrückung der freien Presse, das Verbot
aller Volksversammlungen, politischen Vereine und Reden, sowie aller Adressen an
den Bundestag, die seit 1819 erlassenen Ausnahmegesetze, namentlich die Censur, die
Bestellung der Regierungsbevollmächtigten an den Universitäten allgemeinen Unwillen.
In der äußeren Politik wurde der Bund wenig ge= und beachtet, was sich insbesondere
zeigte, als Theile des zum Deutschen Bunde gehörigen Großherzogthums Luxem-
burg zum neu gebildeten Königreich Belgien geschlagen, dem deutschen Bundes-
gebiete entrissen und durch das Herzogthum Limburg ersetzt wurden. In einer
preußischen Denkschrift vom 20. November 1847 heißt es: „Aus allem diesen ist
nun der beklagenswerthe Zustand des Bundes erwachsen, der offen vor Jedermanns
Augen liegt. Auf die Frage: was hat der Bund seit den 32 Jahren seines Be-
stehens, während eines fast beispiellosen Friedens gethan für Deutschlands Kräftigung
und Förderung? ist keine Antwort möglich. Der Schaden, der hieraus erwächst,
ist unabsehlich. Es mag dabei noch ganz von den materiellen Nachtheilen, so
fühlbar sie auch find, abgesehen werden; schon der moralische Schaden, die Wirkung
auf die Gefinnung und Stimmung der Nation ist übergroß" — und ferner: „Bei
einer solchen Disposition der oberen Bundesleitung und einer solchen Stimmung
der anderen Bundesglieder nimmt es daher nicht Wunder, daß zweiunddreißig
Jahre verfließen konnten, ohne daß auch nur ein einziges Lebenszeichen der Bundes-
versammlung erschienen wäre, aus welchem die Nation hätte entnehmen können,
daß ihre dringendsten Bedürfnisse, ihre wohlbegründetsten Ansprüche und Wünsche
im Rathe des Deutschen Bundes irgend Beachtung fänden.“
Im Vortrage, welchen der badische Gesandte von Blittersdorff Namens des
politischen Ausschusses der Bundesversammlung am 8. März 1848 abstattete, heißt
es: „Die Beleuchtung der inneren Lage des Deutschen Bundes muß der Ausschuß
1 S. auch . v. Seydel, Bayerisches 1873 in Nr. 54 des Reichsanzeigers v. 1873;
Staaterect. l 60 ff. vgl. auch v. Rönne, Reichsstaatsrecht, S. 54 fl.
S. auch 2 v. Seydel, I. c. S. 608 ff. u. weiter unten.
vechss des Deutschen Bundesraths vom 28. Febr. J s8 S. auch W. v. Seydel, lI. c. S. 607 ff.