* 24. Verhältniß der Reichs= zur Landesgesetzgebung u. s. w. 173
Landesverfassungen und dem Landesgewohnheitsrecht 1. Die Uebertragung erfolgte durch
verfassungsändernde Gesetze, in denen rechtlich wirksam auch über gegenwärtige wie
zukünftige Verfassungsänderungen bestimmt werden konnte. Die Wirkung tritt
von selbst, ipso jure, ein, nicht nur, soweit die Landesgesetze einen abweichenden
Inhalt haben, sondern auch, soweit ihr Inhalt mit dem Reichsgesetze übereinstimmt.
Es kann daher auch ein Reichsgesetz nicht durch ein, selbst späteres, Landesgesetz
aufgehoben, geändert, interpretirtkoder ersetzt werden. Es ist daher unerheblich, daß,
ob und wie ein Landesgesetz landesgesetzliche Vorschriften, welche durch ein Reichs-
gesetz aufgehoben, geändert oder ersetzt find, als aufgehoben, geändert oder ersetzt
bezeichnet; wenngleich ein solches Landesgeset nicht gerade als verfassungswidrig zu
bezeichnen ist :. Gewiß ist, daß ein Landesgesetz rechtsgültig keine Vorschriften
treffen darf, welche mit einem Reichsgesetze in Widerspruch stehen. Ob das Landes-
gesetz Ergänzungen des Reichsgesetzes für das Staatsgebiet gültig erlassen darf,
hängt zunächst davon ab, ob die Materie der ausschließlichen Zuständigkeit der
Reichsgesetzgebung unterstellt ist, in welchem Falle ein solches Landesgesetz ungültig
ist; es sei denn, daß die Reichsgesetzgebung ausdrücklich ein Landesgesetz oder (was
nicht selten vorkommt) eine Landesverordnung zulassen sollte. Unterliegt die
Materie nicht der ausschließlichen Zuständigkeit des Reiches, so ist zunächst un-
streitig und im Schlußprotokoll unter VI mit Bayern vom 23. November 1870
anerkannt, „daß selbst bezüglich der der (Bundes-MReichs-Legislative zugewiesenen
Gegenstände die in den einzelnen Staaten geltenden Gesetze und Verordnungen in so lange
in Kraft bleiben und auf dem bisherigen Wege der Einzelgesetzgebung abgeändert
werden können, bis eine bindende Norm vom Bunde ausgegangen ist“. Daraus
ergiebt sich, daß ein Reichsgesetz auf dem nicht der ausschließlichen Reichszuständigkeit
unterliegenden Gebiete bestehendes Landesrecht nur in dem Umfange aufhebt, wie
die Aufhebung von ihm gewollt ist, und für die Zukunft Landesgesetze nur in dem
Umfange ausschließt, wie es dessen Ausschließung will. Will ein Reichsgesetz eine
Materie vollständig und erschöpfend regeln, so ist jede landesrechtliche Vorschrift
über diese Materie aufgehoben und der Erlaß von landesrechtlichen Vorschriften
darüber für die Zukunft unzulässig — es sei denn, daß ausdrücklich in dem
Neichsgesetze bestehende landesrechtliche Vorschriften als fortgeltend bezeichnet oder der
Erlaß solcher Vorschriften als statthaft erklärt wird. So z. B. will die Gewerbe-
ordnung die Bedingungen, unter denen Jemand zum Gewerbebetriebe zugelassen
werden soll, vollständig regeln. Daher find landesrechtliche Vorschriften darüber
nur zulässig, wo die Gewerbeordnung erklärt, daß sie nicht Anwendung finden will
G. B. bei der Frage der An= und Verlegung von Apotheken oder beim Unterrichts-
wesen), oder daß sie dem Landesrecht Spielraum geben will, z. B. beim Huf-
beschlaggewerbe. Das Strasgese etzbuch will Anwendung finden auf alle Materien,
welche sein „Gegenstand“ sind, und die Civil- und Strafproceßordnung auf die
ordentliche Gerichtsbarkeit in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten und in Strafsachen.
Für das Landesrecht bleibt auf diesen Gebieten nur Raum, wo es ausdrücklich
aufrecht erhalten ist. Dies ist z. B. geschehen in §.6 des Einführungsgesetzes zur
Strafproceßordnung bezüglich der dort aufgeführten proceßrechtlichen Bestimmungen,
z. B. über das Verfahren bei Zuwiderhandlungen gegen die Gesetze über das
Vereins= und Versammlungsrecht. Diejenigen strafproceßrechtlichen Vorschriften der
Landesgesetze find selbst bei solchen Gegenständen aufgehoben, über welche die
Strafproceßordnung Bestimmungen nicht enthält. Strafrechtliche Materien, welche
nicht Gegenstand des Strafgesetzbuchs fsind, z. B. Feld= und Forstdiebstahl, Spielen
in außerpreußischen Lotterien, Uebertretungen des Fischereigesetzes, von Polizei-
verordnungen", bleiben neben diesen in Kraft und können landesgesetzlich geändert
1 Vgl. hierzu indeß Hänel, Staatsrecht, I,/bis 70.
S. 250. 4 Daee sind die Duelle, auch Schläger-
* Vgl. hierzu Riedel, Die Verfassungs= duelle, genstand des seihlgeiaseduh
Urkunde, S. 82, Heinze, 1. c. S. 144 ff., La- solguach e arauf be Aglichen: zandesgesetze auss
band, I, S. 589. gehober ob - Entsch. des Reichsger. in Straff., Bd. 1
3 Vel. hierzu Binding, Handbuch, 8§§ 64