184 Viertes Buch. Die Gesetzgebnng des Deuntschen Reiches.
Publicationsformel: „Wir, Wilhelm u. s. w., Deutscher Kaiser u. s. w. verordnen ...,
nach erfolgter Zustimmung des Bundesrathes und des Reichstages“ steht hiermit nur
in scheinbarem Widerspruche und erklärt sich daraus, daß die Reichsgesetze Gesetze
der verbündeten Regierungen find, welche diese nach erfolgter Zustimmung des
Reichstages für das Reich erlassen. Anstatt aber alle Fürsten aufzuführen, genügt
es der Reichsverfassung — und dies war der Zweck der Vorschrift in Art. 17, wo-
nach dem Kaiser die Ausfertigung und Verkündigung der Reichsgesetze zusteht —,
daß der Kaiser ebenso, wie er das Reich völkerrechtlich und nach außen hin vertritt,
so auch die Reichsgesetze im Namen des Reiches und der Verbündeten ausfertigt
und ihre Befolgung anordnet. Der Kaiser verordnet nicht in eigenem Namen und
aus eigenem Rechte 1, sondern nur im Namen des Reiches, d. h. zugleich im Namen
seiner Mitverbündeten. Die Verfassung verlangt weder die Erwähnung des
Bundesraths, noch des Reichstages in der Publicationsformel. Der Reichsverfassung
wäre Genüge geschehen, wenn als Reichsgesetz eine gemäß Art. 5 zu Stande ge-
kommene Anordnung vom Kaiser ausgefertigt und publicirt würde. Die Erwäh-
nung, daß Bundesrath und Reichstag zugestimmt haben, stellt nur klar, wie das
Gesetz zu Stande gekommen ist. Die Reichsverfassung ihrerseits stellt es, abgesehen
von der Vorschrift in Art. 2, in das Ermessen des Kaisers, in welcher Weise er
die Verkündigung vornehmen will. Dieses Ermessen findet aber eine Schranke in
den Befugnissen des Bundesraths und des Reichstages. Da es in deren Willkür
steht, ein Gesetz anzunehmen oder abzulehnen, so haben sie es auch in der
Hand, die Annahme in eine bestimmte Form zu kleiden. Die Form, in welcher
sie dies thun, welche also der Kaiser zu beobachten hat, ist nun stets dahin ge-
gangen, daß fie die Sanctionsformel und die Publicationsformel in den Gesetzes-
text mit aufnehmen. Eine rechtliche Nöthigung hierzu besteht weder für den
Bundesrath noch für den Reichstag 2. Indeß kann der Kaiser, wenn die Sanctions-
und Publicationsformel in den Gesetzestext mit ausgenommen find, das Gesetz nur
zugleich mit diesen Formeln publiciren. Wenn dem Kaiser, abgesehen von den
Ausnahmefällen in Abf. 2, nicht das Recht zusteht, einem Gesetze das Veto entgegen-
zusetzen und die Ausfertigung zu versagen, so kommt doch in Frage, ob er berechtigt
oder sogar verpflichtet ist, vor der Ausfertigung das verfassungsmäßige Zustandekommen
zu prüfen. Nicht zu prüfen hat der Kaiser zweifellos, was nicht in der Verfassung und
und nur in den Geschäftsordnungen für den Bundesrath und Reichstag vorgeschrieben
ist — die interna corporis, aber auch nur die interna corporis?. Dahin ist zu rechnen,
ob die in der Geschäftsordnung vorgeschriebene Zahl von Lefungen stattgefunden, ob
die Fristen zwischen den Lesungen beobachtet, ob die Rednerordnung beobachtet,
die Anträge in der geschäftsordnungsmäßigen Art zur Abstimmung gebracht, die
Kommissionen oder Ausschüsse gehörig zusammengesetzt, deren Beschlüsse in der vor-
geschriebenen Weise und Reihe zur Abstimmung gelangt, ob im Bundesrathe die
ersten oder nur die stellvertretenden Bevollmächtigten zugegen gewesen find. Nicht
bloße interna corporis find alle Vorschriften, welche die Verfassung ausstellt,
z. B. daß der Reichstag den Beschluß bei Anwesenheit von mindestens 199 Reichstags-
mitgliedern gefaßt hat (Art. 28), daß im Bundesrath für die Staaten die verfassungs-
mäßige Stimmenzahl (nicht irrthümlich eine andere) berechnet (Art. 6), daß, wo
es besteht, das preußische Veto berücksichtigt (Art. 5, Abs. 2), daß nicht vertretene
oder nicht instruirte Stimmen nicht gezählt, bei Stimmengleichheit im Bundesrath
nicht der Ausschlag durch die preußische Stimme berücksichtigt oder die Vorschriften
des Art. 78 über Verfassungsänderungen oder Sonderrechte nicht beobachtet oder
daß im Bundesrath die Stimmen bei einer nicht gemeinschaftlichen Angelegenheit
auch derjenigen Staaten gezählt find, welchen die Angelegenheit nicht gemeinschaftlich,
1 Wie in Preußen. 2 Vgal. hierzu Gneist, Vechandlungen des
2 Val. hierzu die mehr oder minder ab= vierten deutschen Juristentages, I, S. 232,
weichenden Ansichten von RKönne, Preuß. Hänel, Studien, I, S. 264, Schulze, Preuß.
Staatzr., 4. Aufl., S. 183, Laband, 1, S. 519, Staatsr. II, S. 243 ff., v. Gerber, Grundzüge,
Dyroff, in Hirth's Annalen 1889, S. 817, "b 49, S. 155 * Planck, in Ihering's Jahr-
u. A. m. üchern, Bd. I, S. 370.