Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches.

194 Biertes Buch. Die Gesetzgebung des Deutschen Neiches. 
Gesetzgeber konnte daher, wie er es für passend hielt, das Höchstgewicht der Briefe 
und Packete und die Gebühren für Postanweisungen u. s. w. selbst vorschreiben, 
oder sie durch einen Anderen, den Kaiser, den Reichskanzler oder den Bundesrath, 
vorschreiben lassen. Denn den Sinn hat Art. 50 nicht, daß, wenn irgendwie und 
irgendwo auf dem Gebiete des Post= und Telegraphenwesens der Gesetzgeber bei 
einer von ihm zu regelnden Materie es für zweckmäßig hält, nicht selbst eine An- 
ordnung zu erlassen, er mit deren Erlaß nur den Kaiser beaustragen darf. Die 
auf Grund § 50 des Gesetzes über das Postwesen erlassenen Verordnungen find 
nicht „reglementarische Festsetzungen und allgemeine administrative Verordnungen“ 
im Sinne des Art. 50 der Reichsverfassung, sondern Specialgesetze, die der Gesetz- 
geber nicht selbst geschrieben hat, sondern durch einen Dritten schreiben läßt. 
Gesetzt aber, der Kaiser besitze nach Art. 50 das Recht, zu verlangen, daß er alle 
Verordnungen auf dem Gebiete des Postwesens zu erlassen habe, auch die zur 
Ausführung und Ausfüllung von Specialgesetzen, so ist eine einen Anderen zum 
Erlasse einer solchen Verordnung ermächtigende gesetzliche Vorschrift (§ 50 des Ge- 
setzes über das Postwesen) verfassungsmäßig, wenn Preußen im Bundesrathe nicht 
dagegen gestimmt hat. 
Nun wird behauptet?", daß die Abänderung der Verfassung ihre Schranke 
finde in den vertragsmäßigen Grundlagen, auf welche der Eingang der 
Reichsverfassung hinweise. Diese Grundlagen seien 1) die Existenz der ein- 
zelnen Staaten als Glieder des Bundes. Es sei daher weder eine 
Ausschließung der Einzelstaaten aus dem Reichsverbande durch einen Act der 
Reichsgewalt, noch ein einseitiger Austritt derselben für zulässig zu erachten. 
Vielmehr sei eine Abänderung der Reichsverfassung unter Zustimmung des 
betreffenden Einzelstaates nothwendig a) zum gänzlichen oder theilweisen 
Ausscheiden eines Staates aus dem Reichsverbande, b) zur völligen oder theil- 
weisen Abtretung seines Gebietes an einen außerdeutschen Staat (vorausgesetzt, daß 
dieselbe nicht in einem Friedensvertrage erfolgt) und c) zur Vereinigung eines 
deutschen Staates mit einem anderen deutschen Staate. Eine fernere vertragsmäßige 
Grundlage bilden 2) das Bestehen eines Bundesverhältnisses, d. h. es 
könne den Einzelstaaten nicht die Selbstständigkeit ihrer Organisation genommen 
und kein Einheitsstaat geschaffen werden, und 3) die festgestellten Bundes- 
zwecke, „Schutz des Bundesgebietes und des innerhalb desselben gültigen Rechtes, 
sowie Pflege der Wohlfahrt des deutschen Volkes“; eine Erweiterung des Bundes- 
zweckes sei nur unter Zustimmung aller Bundesstaaten zulässig. Gegen diese Be- 
hauptung muß zunächst geltend gemacht werden, daß die heute allein maßgebende 
Reichsverfassung ein Reichsgesetz, nicht ein Vertrag ist, und daß auch die nord- 
deutsche Bundesverfassung ihre Wirksamkeit nicht durch Vertrag, sondern als über- 
einstimmendes Landesgesetz erhalten hat"“. Der Gesetzgeber, und nur der Gesetzgeber, 
ist souverän, er kann sich selbst vernichten 5. Der bis dahin souveräne Landesgesetz- 
geber hat Theile seiner Gewalt einem Dritten, dem Norddeutschen Bunde und bezw. 
dem Deutschen Reiche, übertragen. Ein Vertrag war hierzu nicht im Stande. Die 
Frage ist also nur, hat das Landesgesetz, welche für jeden Bundesstaat die nord- 
deutsche Bundesverfassung erließ, damit die Befugniß übertragen, die Existenz der 
einzelnen Staaten als Glieder des Bundes aufzuheben? Daß für den Fall eines 
Friedensschlusses dem Reiche eine solche Gewalt übertragen ist, wird fast allfseitig 
angenommen und muß als erwiesen gelten #. Im Uebrigen muß angenommen 
werden, daß, soweit Abs. 2 in Art. 78 der Reichsverfassung zur Anwendung 
kommt, der Einzelstaat nur mit seiner Zustimmung eine Einbuße an den als 
  
1 Siehe auc Verhandlungen des Reichs= welche die Vereinigung der hohenzollernschen 
tages 1871, 1. Session, S. 549, 552, 553 und Fürstenthümer mit Preußen und damit zugleich 
weiter unten. anordneten, daß Alles, was in Zukunfs die 
s 50.— Meyer, Staatsrecht, 4. Aufl., § 510, preußische Gesetzgebung bestimmen wird, auch 
.. für die hohenzollernschen Länder Gültigkeit 
2 Siehe oben S. 72. haben soll. ! 
4 Siehe oben S. 41. * Oben S. 72. 
  
5 z. B. die hohenzollernschen Landesgesetze,
	        
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