Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches.

196 Biertes Buch. Die Gesetgebung des Deutschen Reiches. 
einem Willen, welcher außerhalb des Bundesstaates steht —.“ Ihm widersprach 
am folgenden Tage der Abgeordnete v. Brauchitsch (Sten. Ber. S. 105, 
Bezold, III, S. 224): „Diese Auffassung (Lasker's) halte ich nicht für richtig. 
Im Gegentheil, da jetzt die einzelnen süddeutschen Landesvertretungen zu dem 
Vorbehalte jener Rechte ihre Zustimmung geben müssen, so werden, wenn diese 
Rechte in einem einzelnen Lande einmal fortfallen sollen, wiederum dieselben 
Landesvertretungen ihre Zustimmung zu dem Aufhören der Reservatrechte ertheilen 
müssen.“ Hierbei ist zu bemerken, daß der Abgeordnete v. Brauchitsch Recht 
hat in der Bemerkung, daß die Landesvertretungen ihre Zustimmung zur Aufgabe 
der Reservatrechte zu geben hatten; nur überfieht er, daß sie das Recht, die Zu- 
stimmung zu erklären, auch an einen Dritten, nämlich die Bundesrathsbevoll- 
mächtigten, delegiren konnten und durch Annahme der Reichsverfassung als Landes- 
gesetz auch thatsächlich delegirt haben. Lasker, welcher am 7. December 1870 
(Sten. Ber. S. 133, Bezold, III, S. 8302) seine Anficht, daß unter der ge- 
dachten Zustimmung nur verstanden werden kann „die Stimme des berechtigten 
Staates im Bundesrathe, so daß die Rückficht auf die legislativen Faktoren. 
des besonderen Staates nicht mehr nothwendig ist“, wiederholte, ersuchte den 
Präfidenten des Bundeskanzleramtes um eine authentische Interpretation über den 
Willen der Vertragsschließer. Darauf erwiderte dieser, Delbrück (l. c.), sofort: 
„— Eine authentische Interpretation kann ich hier nicht geben; ich kann nur sagen, 
daß ich unter dieser „Zustimmung“ nichts Anderes verstanden habe, als die Zu- 
stimmung im Bundesrathe, und daß mir bisher eine entgegenstehende Auffassung 
nicht bekannt geworden ist.“ Darauf bemerkte der Abgeordnete v. Hoverbeck 
(I. c.): „— Ich glaube, daß die Aufklärung des Herrn Präfidenten des Bundes- 
kanzleramts möglichst vollständig die Bedenken des — Abgeordneten Lasker er- 
ledigt; daß aber auch die Sache selbst so auf der Hand liegt, daß diese Erklärung 
als eine natürliche und angemessene wohl auch von den anderen Faktoren, die 
dabei mitzusprechen haben, wird anerkannt werden.“ Eine unbedingte und wichtige 
Zustimmung zu der Ansicht Delbrück's gab bei Berathung des Gesetzes, betr. 
die Einführung des Gesetzes, betr. die Verpflichtung zum Kriegsdienste vom 
9. November 1867 (B.-G.-Bl. 1867, S. 131) in Bayern, am 20. November 1871 
im Reichstage der bayerische Staatsminister v. Lutz (Sten. Ber. S. 378): „Ab- 
geordneter Greil legt sich diese Bestimmung dahin aus, daß unter der Zustimmung 
des betreffenden Staates die Zustimmung der sämmtlichen gesetzgebenden Faktoren 
desselben gemeint sei —. Dem gegenüber habe ich zu erklären, daß die Bayerische 
Regierung diese Auffassung nicht hat, und ich meines Orts — ich bin berechtigt, 
dies auszusprechen, nachdem ich bei Abfassung der Verträge einigermaßen betheiligt 
gewesen; — ich kann noch beifügen, daß es auch niemals die Absicht der Kon- 
trahenten gewesen ist, den betreffenden Bestimmungen eine solche Bedeutung bei- 
zulegen.“ 
Wenn es nun auch heute fast allseitig zugestanden wird, daß zur Aufgabe 
eines Sonderrechtes dem Reiche gegenüber und nach außen hin genügt, wenn der 
Bevollmächtigte im Bundesrath seine Zustimmung dazu ertheilt hat, so find die 
Meinungen noch sehr darüber getheilt, ob es statthaft ist, durch ein Landesgesetz 
zu bestimmen, daß die Abstimmung der Mitglieder des Bundestages, insbesondere 
über die Aufgabe eines Reservatrechtes, an die zuvorige Zustimmung der Landes- 
vertretung zu binden ist. Seydel! hält ein solches Gesetz für unstatthaft, da die 
Mitglieder des Reiches die Souveräne und nicht die Bevölkerungen seien, die 
Souveräne durch Annahme der Reichsverfassung (Art. 6) das Recht der Stimmen- 
führung im Bundesrathe unbeschränkt erhalten haben. Hänels erklärt ein 
Landesgesetz, welches die vorherige oder nachherige Zustimmung der Landesvertretung 
zu einer zustimmenden Instruction des Bundesrathsbevollmächtigten fordert, als 
nichtig. Andere Staatsrechtslehrer 3 stellen die Ansicht auf, daß die Regierung, 
  
1 Comm., S. 425 ff. * 219 ff., und Staatsrecht, I. S. 819. 
2 Studien zum deutschen Staatsrecht, I, 2 N. v. Mohl, S.4, G. Meyer, § 164.
	        
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