16 Erstes Buch. Entstehung des heutigen Deutschen Reiches.
kündbare, völkerrechtliche Vereinigung. Vom echtsstandpunkte aus betrachtet stand
jedem Vereinsstaate, unter Innehaltung der Vertragsdauer, beliebig der Rücktritt
frei. Thatsächlich war ein solcher Rücktritt eine absolute Unmöglichkeit. Rechtlich
waren Preußen und alle Vereinsstaaten einander gleichgestellt. Thatsächlich be-
herrschte Preußen den Zollverein aber in unbeschränktester Weise, weil kein Vereinsstaat
seinen Antheil an den gemeinschaftlichen Einnahmen ohne seinen finanziellen Ruin
entbehren, keiner ohne Preußen ein selbstständiges Wirthschaftsgebiet bilden, keiner
einen Zollkrieg mit Preußen aufnehmen konnte. Dies zeigte sich besonders beim
preußisch-französischen Handelsvertrag vom 2. Aug. 1862, welchen die meisten deutschen
Staaten sehr wider Willen annahmen. Und so läßt sich behaupten, daß das durch den
deutschen Zollverein begründete wirthschaftliche Band, wie es die Stürme der Jahre
1848 und 1866 überdauert hat, fest halten wird, wenn selbst die deutsche Reichs-
verfassung in Gefahr kommen sollte.
#*.5. Von 1848—1850.
Zachariä, Deutsches Staats= und Bundesrecht, I. S. 200 ff.
Schon die seit dem 1. Januar 1834 geschaffene wirthschaftliche Einigung
mußte das Streben auch nach politischer Einigung hervorrufen. Einer der einfluß-
reichsten und hauptsächlichsten Vorkämpfer und Wortführer des deutschen Zoll-
vereins rief lange vor dem Sturmjahre 1848 dem deutschen Volke zu: „Von Tag
zu Tag müssen die Regierungen und Völker Deutschlands mehr zur Einsicht ge-
langen, daß Nationaleinheit der Fels ist, auf welchem das Gebäude ihres Wohl-
standes, ihrer Ehre, ihrer Macht, ihrer gegenwärtigen Sicherheit und Existenz
und ihrer künftigen Größe zu gründen sei 1.“ Auf dem Parteitage zu Heppen-
heim i. J. 1847 wurde der Gedanke ausgesprochen, den Zollverein politisch zum
Deutschen Reiche umzugestalten.
Die Revolution vom 24. Februar 1848 zu Paris hatte ihre Schatten voraus-
geworfen. Schon am 12. Febr. 1848 stellte der Abgeordnete Bassermann in
der zweiten badischen Kammer den Antrag „auf Vertretung der deutschen Stände-
kammern am Bundestage“ in der Voraussicht, daß „an der Seine und an der
Donau sich die Tage neigen" . Die Februarrevolution brachte einen vollständigen
Umschwung in Deutschland bei den Regierungen wie bei den Regierten hervor-
Am 29. Februar beantragte der Bundes-Präsidialgesandte die Niedersetzung eines
politischen Ausschusses zur schleunigen Berichterstattung über die Lage Deutschlands #.4
Am folgenden Tage (1. März) wandte der deutsche Bundestag"“ „als das gesetzliche
Organ der nationalen und politischen Einheit“ sich vertrauensvoll an die deutschen
Regierungen und das deutsche Volk, forderte auf zum „einmüthigsten Zusammen-
wirken der Regierungen und Völker und erklärte, daß Deutschland auf die Stufe
gehoben werden müsse, die ihm unter den Nationen Europas gebühre". Der Beschluß
vom 3. Märzö gestattete den Einzelstaaten die Aufhebung der Censur und die Ein-
führung der Preßfreiheit. Ein Beschluß vom 8. März“ erkannte die Nothwendig-
keit einer Revifion der Bundesverfaffung auf wahrhaft zeitgemäßer und nationaler
Grundlage an. Am 9. und 20. März' erklärte der Bundestag den Adler und die
Farben des ehemaligen Reichsbanners, schwarz-roth = gold, zum Zeichen und zu
Farben des Deutschen Bundes und lud am 10. Märzs die Regierungen der Einzel-
staaten ein, siebzehn Männer des allgemeinen Vertrauens (für jede Stimme des
engeren Rathes einen) alsbald nach Frankfurt mit dem Auftrage abzuordnen, bei
Vorbereitung der Revifion der Bundesverfassung gutachtlichen Beirath zu geben.
Zur vorläufigen Verhandlung mit dem Siebzehner-Ausschuß bestellte der Bundestag
1 Friedrich List, Das nationale System Corpus Juris confoederationis Germanici,
der po itischen Oekonomie, 6. Aufl. 1877, S. 327. Bd. II, S. 460 ff.
Roth und Merck, Quellensammlung rꝛc., * Ebendort § 133, S. 228.
1848. Bd. I, S. 30 S. 58 f. 7 Ebendort 161, S. 263; 4 auch – 137,
. Pdiel- der Brher lammlung 1848, S. 234, H. v. r55 II. S. 4
#5 103, S. 173. Ebendort § 140, S . 237; 85 v. Meyer,
4 Ebendort x 108, S. 179. II, S. 465.
5 Ebendort 5 119, S. 201; H. v. Meyer,